Eventide H9000 und H9000R Harmonizer Test

In der Studioszene ist Eventide genauso bekannt wie SSL oder Neve, wenn auch in einer anderen Kategorie vertreten. Der Hersteller, der u. a. auch elektronische Navigationskarten für Flugzeuge anbietet, ist essenziell für die Audiowelt und hat den Sound vieler Hits aller erdenklicher Musikgenres maßgeblich beeinflusst. 

Von daher ist es umso spannender, wenn Eventide ein neues Multi-Effektgerät vorstellt, was den Buchstaben „H“ vor einer Nummer führt. Zwischen dem Vorgänger H8000FW und dem jetzigen H9000 liegen immerhin ca. 15 Jahre. Grund genug sich das Ganze im Detail anzuschauen.

Details

Die Geschichte des Harmonizers

Die Vorgeschichte und die damit verbundenen Entwicklungen zum heutigen H9000 begannen bereits vor dem Jahr 1975, als die ersten kommerziell verfügbaren digitalen Pitch-Shifters unter dem Namen H910 Harmonizer verkauft wurden. Für den Studiogebrauch konzipiert fanden sie dennoch sofortigen Gebrauch in Fernsehproduktionen, wo Stimmen nachbearbeitet bzw. manipuliert werden mussten.

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Zum ersten Mal konnte die Tonhöhe unabhängig vom Tempo editiert werden – und umgekehrt. Der Grundgedanke bestand darin, dass Sänger eigene Harmonien hinzufügen konnten, ohne die Hilfe mehrerer Takes oder ganzer Chöre. Das war die Grundintention hinter dem Design vom Entwickler Tony Agnello – was er damit aber lostrat, war nicht abzusehen. Eine ganze Reihe von Musikern fing nun nämlich an, das Audiomaterial zu manipulieren und neue Sounds zu kreieren, die so vorher einfach nicht möglich waren.
Künstler wie David Bowie, AC/DC, Led Zeppelin, Frank Zappa, Laurie Anderson oder auch Eddie Van Halens Signatur Gitarrensound, der dann bekannt wurde unter „Twin Harmonizer Effect“, nutzten schnell den damals futuristischen Effekt. Ob es die Snare, Stimme oder andere Klänge waren, jeder nutzte diese Effekte, um Akzente in der Produktion zu setzen. 
In den kommenden Jahren entwickelte sich der H910 zum H949 mit einigen erweiterten Zusatzfunktionen, als dann im Jahr 1981 der SP2016 Effekt Hall Prozessor mit 16 Bit herauskam. Dieser setzte Maßstäbe in der Programmierbarkeit und ermöglichte auch Drittanbietern eigene Algorithmen zu schreiben. 
Es folgten einer der ersten Phaser (Instant Phaser) und Flanger (Instant Flanger) aus dem Hause Eventide, als dann im Jahr 1986 der H3000 herauskam und mit seinem 16-Bit-TMS320-DSP-Chip tonangebend dafür sein sollte, was ein Multi-Effektgerät so alles machen kann. Spätestens danach war klar, wohin die Reise geht und mit der stetig steigenden Prozessorpower folgten die DSP-Serien, die mit jedem Modell immer mehr an Leistung gewann und so bis 2001 produziert wurde – um dann im Finale vom Orville, einem digitalen 24-Bit-Mehrkanal-Prozessor mit UltraShifter Funktion für bis zu 8 Kanäle, abgelöst zu werden. Vier Jahre später veröffentlichte Eventide dann den Nachfolger des Orville, den H8000, mit – ihr habt es erraten – noch mehr Rechenleistung.

H8000FW vs. H9000

Bevor wir in die Einzelheiten gehen, wollte ich grundlegende Unterschiede zum Vorgänger deutlich machen, denn mit einfach nur mehr DSP-Power ist es diesmal nicht getan. Und obwohl viele Audio-Veteranen nach wie vor auf den Sound vom H3000 schwören – seitdem hat sich eben sehr viel getan. Und wir reden nicht nur von Prozessorpower, sondern vor allem vom Handling sowie Erweiterungs- und Routingmöglichkeiten. 

Fotostrecke: 2 Bilder Der neue H9000 mit der Front-Bedienung …

Der H8000FW, der durchaus auch noch weiterhin zu empfehlen ist, bietet zunächst vier analoge I/Os in Kombination mit acht Kanälen auf AES, ADAT und SPDIF. Der Austausch mit dem Computer kann aber nur via FireWire genutzt werden, was faktisch tot ist. Ferner sind die analogen Kombibuchsen Klinke/XLR mit ihrer hohen Eingangsimpedanz hervorzuheben, weil sie auch als Instrumenteneingänge verwendet werden konnten – beim H9000 ist das nicht mehr möglich. Für manche Anwender wird der H8000FW also weiterhin reichen dürfen, insbesondere da, wo er im Zusammenhang mit einem Mischpult sowie Send/Returns genutzt wird. 
Beim H8000FW konnte man auch mal noch eine Fernbedienung dazu kaufen, die aber nicht wirklich günstig daherkam – und nur suboptimal umgesetzt wurde. Die Encoder waren gerastert und es gab ein komisches Drehgefühl, schnelle Bewegungen wie bei einem Synthesizer Filter (Cut Off) waren nicht gut möglich. Außerdem wurde auch noch die Anordnung der Parameter anders dargestellt als auf dem Display des Gerätes selbst. Von daher wundert es mich nicht, dass dieser „Eve/Net Remote Controller“ für die Modelle H8000, H7600 und Orville nicht weiter angeboten wird. 

Eventide H9000 – Der Harmonizer der nächsten Generation

Der H9000 ist der Höhepunkt eines langen Entwicklungszyklus und bietet die achtfache Verarbeitungsleistung des H8000FW sowie eine Vielzahl von I/O-Optionen und Netzwerkfähigkeiten an. Basierend auf vier Quad-Core-ARM-Prozessoren, welche als 16 separate DSP-Engines arbeiten, können bis zu vier beliebige Effekte mit einem flexiblen Routing-System namens FX Chains verbunden werden. Dazu kommen ausgezeichnete Wandler und Erweiterungssteckplätze, die den H9000 in jede Studioumgebung einbinden.

Im Gegensatz zur cleanen Front der H9000R gibt es an der Rückseite massig Anschlüsse!
Im Gegensatz zur cleanen Front der H9000R gibt es an der Rückseite massig Anschlüsse!

Für alle, die es vorziehen, „In The Box“ zu arbeiten, bietet der H9000 außerdem eine kostenlose Software namens Emote an, die als eigenständige Anwendung für Mac und PC oder als Plugin (VST-, AU- und AAX-Formate) verwendet werden kann. 

Technische Details

Der H9000 ist ein lüftergekühlter Mehrkanal-Effektprozessor im Rackformat auf zwei HE und mit umfassenden I/O – und Steuerungsoptionen ausgestattet. Auf der Rückseite befinden sich acht analoge Ein- und Ausgänge im Sub-D-Format sowie acht digitale AES-Schnittstellen auf Sub-D, wobei die digitalen Kanäle 1 und 2 nochmal separat als XLR-Buchsen aufgeführt sind. Zur weiteren Ausstattung gehören ADAT und SPDIF.
Außerdem wurde ihm eine 16-Kanal-Soundkarte spendiert, die via USB-2 mit dem Computer kommuniziert. Beeindruckender ist, dass der H9000 bis zu drei optionale Erweiterungskarten aufnehmen kann. Zu diesem Zeitpunkt sind das Pro-Tools-, MADI- und Dante-Karten, aber auch Ravenna- und AES67-Karten werden in Kürze veröffentlicht. Jede Karte kann bis zu 32 I/O-Kanäle verarbeiten und bietet Zugriff auf bis zu insgesamt 96 Kanäle!
Wichtig ist auch zu erwähnen, dass alle Standard-Abtastraten von 44,1 bis 96 kHz unterstützt werden; ADAT leider noch ausgenommen. Warum S/MUX nicht unterstützt wird, bleibt ein Rätsel. Grundsätzlich können die Wandler intern aber mit Abtastraten bis zu 192 kHz arbeiten, sodass späteres Update nicht auszuschließen sind. An dieser Stelle sei nochmals erwähnt, dass 40 Plugins derzeit nicht mehr als 48kHz beherschen.

Fotostrecke: 3 Bilder Acht analoge Ein- und Ausgänge im SUB-D Format, wobei die ersten beiden Ein- und Ausgänge auch als XLR verfügbar sind.

Was sich dennoch nicht mit den kommenden Updates ändern wird, ist der Umstand, die Ausgänge verschiedener FX-Ketten mit demselben physischen Ausgang zu mischen. Jede „FX Chain“ benötigt von daher ihren eigenen physikalischen Ausgang. Das bedeutet hier entweder … oder. Es ist nicht möglich, etwas über AES und gleichzeitig auf den SPDIF-Ausgang zu schicken – schade. Zusätzlich gibt es auch noch keine Abtastratenkonvertierung an einem der digitalen Eingänge wie zum Beispiel beim Bricasti M7 daher muss die interne Verarbeitung des H9000 mit der ausgewählten digitalen Eingangsquelle synchronisiert werden, unabhängig davon, ob es sich um eine bestimmte digitale Eingangsverbindung oder eine Erweiterungskarte handelt. Wenn man nur die analogen Eingänge verwendet, kann man den H9000 natürlich auch über seine interne Clock laufen lassen.

H9000 vs. H9000R – to remote or not

Der H9000 kommt mit einer Reihe von Bedienelementen auf der Vorderseite und einem großen Farbdisplay daher, das jedoch nicht über Touchsensorik verfügt. Bekannt aus früheren Harmonizern enthält diese auch die bekannte Zehnertastatur, die Anordnung von Cursor- und Menütasten und das Encoderrad. Zum bekannten Panel-Layout gibt es jetzt acht Softkeys mit vier auf jeder Seite des Bildschirms anstatt nur vier darunter. Die Pegel werden durch acht Drei-LED-Ampel-Balkendiagramme über dem Bildschirm bereitgestellt, und es gibt einige Direktzugriffstasten, die alle über integrierte LED-Statusanzeigen verfügen, während einige je nach Verfügbarkeit zusätzliche Funktionen haben werden für lange oder kurze Zeit gedrückt. Die Schaltflächen decken die Schlüsselfunktionen wie Power, Setup, Save, Bypass und Tap ab und greifen auf die Menübildschirme zu, um Sessions, FX-Chains, Algorithmen, Parameter usw. abzurufen. Der herkömmliche Speicherkartensteckplatz wurde ebenfalls durch ein Paar USB-Buchsen vom Typ A ersetzt. 
Eventide hat aber auch eine kostengünstigere ferngesteuerte Version, den H9000R, mit einer leeren Vorderseite ins Rennen geschickt. Beide werden mit identischer Software und derselben Audio- und Steuerungskonnektivität geliefert. 

Fotostrecke: 3 Bilder Das Display des H9000 …

Bei beiden Modellen erfolgt die Fernbedienung entweder über die eigenständige Mac-/Windows-App Emote oder über eine Plugin-Version (VST-, AU- und AAX-Formate). Der H9000 kann über USB, LAN oder WLAN mit dem Computer verbunden werden (ein Dongle ist im Lieferumfang enthalten). Die Emote Software unter iOS oder Android zu bedienen ist derzeit noch nicht geplant. 

4×4 DSP-Effekte

Geliefert wird das neue Flaggschiff mit dem umfangreichen Katalog der Eventide Effekte. Hinzu kommen fast alle Effekte (etwa 80) der früheren Harmonizer wie DSP4000, H3000 und H8000FW. Was Musiker ansprechen sollte, ist, dass alle H9-Algorithmen ebenfalls enthalten sind und sich entsprechend mit dem Softwareupdate erweitern lassen. 
Die vier Quad-Core-ARM-Prozessoren sorgen dafür, dass bis zu 16 separate Stereo-Effektalgorithmen gleichzeitig genutzt werden können. Anstatt nur einen riesigen Pool an Effektprozessoren zu bieten, gibt es auch eine neue Funktion namens “FX-Chains”, bei der bis zu vier-Ketten mit jeweils bis zu vier Effektalgorithmen verfügbar sind, also eine 4×4-Effektmatrix. Zum Beispiel könnte eine FX-Kette nur für die Vocals zuständig sein, während die andere die kompletten Drums bearbeitet und die anderen für die Räume usw.
Die Effektalgorithmen in jeder FX-Kette können in einer Vielzahl von Seriell- und Parallelkonfigurationen verbunden werden, um so ziemlich jede denkbare Verarbeitungsstruktur zu erstellen. Somit ist es möglich, innerhalb eines Projekts zu bleiben und dieses vollständig zu realisieren. Derzeit gibt es noch einige Einschränkungen bei der Verknüpfung der separaten FX-Ketten miteinander, dies wird mit dem kommenden Update aber sicherlich behoben.
Die einzelnen Effektalgorithmen und FX-Chain-Einstellungen (‘Presets’) sowie die vollständigen Setup-Konfigurationen des Geräts (als ‘Sessions’ bezeichnet) mit Routing, Samplerate und anderen globalen Einstellungen können gespeichert und auf einem USB-Stick oder einer Festplatte abgerufen werden.

Fotostrecke: 4 Bilder Unscheinbar kommt die Box aus den Staaten daher …
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MFASonic sagt:

#1 - 29.12.2020 um 21:23 Uhr

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Ui, das ist aber eine sehr schlechte Gesamtbewertung für das beste (Multi-)Effektgerät der Welt.
Was in der Tat nicht zu verstehen ist, ist der Lüfter. Laut Eventide handelt es sich bereits um einen extrem leises Modell, aber nachdem ich ihn gegen einen Noctua NF-A8 ULN mit separater Temperaturregelung getauscht habe, weiß ich, dass es auch wirklich lautlos geht. Sehr bedauerlich für ein Weltklassegerät.
Aber "saftiger" Preis? Na ja. Ich habe den DSP 4000, den Orville und den H8000FW besessen, und wenn man die Inflation einrechnet, waren diese Geräte sogar teurer. Gut, man konnte auch noch nicht 50% der Effekte durch Plugins ersetzen, aber dafür kann Eventide am Ende nichts. Im Übrigen würde ich mal meinen, dass Käufer von Eventide eh Nettopreise zahlen.
Negativ verbuche ich da eher die von Euch nicht erwähnten wirklich saftigen Preise für die Karten (Dante, MADI oder ProTools). Das ist tatsächlich sehr ärgerlich.
Die Emote-Software ist bei mir nach rund 400 Tagen täglicher Nutzung noch NIE abgeschmiert. Einzuräumen ist die etwas seltsame interne Verkabelung, aber das war beim H8000FW noch schlimmer, auch mit dem über RS232 zu bedienenden Router, der nachgereicht wurde.
Dass einige Algorithmen nicht in höheren SR verfügbar sind, ist auch schade, zumal der H9000 im Gegensatz zu all seinen Vorgängern keine SRC mehr beherrscht.
Ihr seht, ich habe durchaus auch was zum Meckern. Müsste ich den H9000 aber bewerten, würde ich dennoch einfach 5 Sterne geben. Na gut, 4,5, aber den kleinen Abzug eigentlich nur, weil man heute eben auch mit Plugins schon weit kommt, auch wenn der Aufwand wesentlich größer ist und dann je nach Stundensatz am Ende für den Kunden evtl. sogar teurer wird. Denn eins ist beim ersten Einschalten klar: Das sind die Effekte, nach denen jeder schon immer gesucht hat. Edel, perfekt, unerreicht.
Danke für Euren Test!

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