Orange 4 Stroke 500 Test

Die Amp-Schmiede Orange ist seit ihrem fulminanten Relaunch in den 1990er-Jahren niemals müde geworden, Überraschungen auf den Markt zu schleudern, die weltweit für Begeisterung sorgen! Auch Bassisten profitieren stets von dem frischen Entdeckergeist der Briten, hinter dem vor allem Mastermind Clifford Cooper und der technische Direktor Adrian Emsley stehen – neben einem hoch engagiertem Team in der Orange-Zentrale nahe London. Die Company schätzt und pflegt die Nähe zu den Musikern, die sich für ihre Produkte entschieden haben, und aus dieser Symbiose entspringen letztendlich auch stets neue Ideen.

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… auf jeden Fall wohltuend von den Mittbewerbern am Markt ab!


Neben dem Vollröhren-Bassflaggschiff AD200B sorgte vor zwei Jahren der Class-A/B-Volltransistoramp “OB1” für Aufsehen, den mein werter Kollege Rainer Wind für bonedo getestet hat. Gegen den allgemeinen Trend, immer leichter werdende Class-D-Topteile zu entwickeln, entschied sich Orange bewusst dafür, der klassischen Tradition mit fettem Endstufentrafo zu folgen. Das ist zwar zwangsläufig mit höherem Gewicht verbunden, aber eben auch dem Versprechen, dafür wieder einen wesentlich wärmeren und fetteren Basston erzeugen zu können!
Nach der Einführung dieses Basstops legte sich das Entwicklungs-Team keineswegs schlafen, sondern schob – nicht einmal ein Jahr später – direkt ein weiteres Class-A/B-Topteil nach, dass auf der NAMM Show 2016 vorgestellt wurde und nun endlich auch in Deutschland erhältlich ist. Während die 500-Watt-Endstufe (optional ist auch eine 300-Watt-Version verfügbar!) identisch mit der des “OB1” ist, hat man vor allem an einer anders ausgelegten Vorstufe gearbeitet, die weitaus flexibler ist als alles, was man bis dato bei Orange so zu hören bekam.
War der OB1 vor allem Freunden von Overdrive-Sounds gewidmet, so wollte man nun einen Amp erschaffen, der jegliche Form von cleanen Klangfarben generieren kann. Die Rede ist vom “4 Stroke”. Ausgestattet ist das Topteil mit einem vierfachen semiparametrischen EQ und einem außerordentlich musikalisch ausgerichtetem Kompressor. Wir haben uns den 4 Stroke 500 – also die 500 Watt starke Version – für den Test ausgesucht. Schauen wir uns also einmal an, was der Orange 4 Stroke 500 so zu bieten hat.

Details

Das im Orange-eigenen Werk in China hergestellte Volltransistor-Topteil kommt in einem weiß lackierten Metallchassis im 19″-Rackformat in zwei Höheneinheiten. Die Frontblende ist bereits als Rackblende mit erweiterten Flügeln und entsprechenden Bohrungen gestaltet. Zwar ist das Gehäuse für einen Rackeinbau prädestiniert, kann allerdings auch bedenkenlos ohne Rack betrieben werden, denn vier Gummifüße sorgen für einen sicheren Stand auf jedem beliebigen Boxengehäuse.
Zum Tragen stehen allerdings lediglich die zwei frontseitig montierten Chromstahl-Rackbügel zur Verfügung – einen ordentlichen Tragegriff sucht man leider vergebens. Der eine oder andere wird daher durchaus die Anschaffung eines Rackgehäuses in Erwägung ziehen, wenn robusteres Road- und Bühnenhandling zu erwarten sind.
Die Abmessungen des Tops betragen 48 x 27 x 10,3 cm (inkl. Rackflügel, Rackbügel und Gummifüße), die Höhe entspricht damit zwei Höheneinheiten für den Rackeinbau. Wobei zu beachten ist, dass zur effizienten Kühlung idealerweise etwas mehr Platz einkalkuliert werden sollte. Zwar wurde im Amp ein leistungsstarker, temperaturgesteuerter Lüfter verbaut, und das komplette Chassis ist rundum mit Lüftungsschlitzen ausgestattet, doch zusätzlicher Ventilationsraum im Rack sorgt immer für eine noch effizientere Kühlung.
Mit knapp 10 kg Gewicht bewegt sich der Amp noch in einem tragefreundlichen Rahmen, der sich natürlich nicht mit der Federgewichtklasse von Class-D-Amps vergleichen lässt. Der Orange 4 Stroke 500 ist ein Class-A/B-Amp auf klassischer analoger Transistorbasis mit Ausgangstrafo, was zwangsläufig für mehr Gewicht sorgt. Im Vergleich zu leistungsidentischen oder sogar schwächeren Röhrentops ist das Gewicht des 4 Stroke 500 aber natürlich wesentlich angenehmer und die Abwesenheit von Röhrentechnologie garantiert dem Orange-Neuling kosteneffiziente Wartungsfreiheit bei durchaus röhrenverwandter Soundästhetik.

Fotostrecke: 3 Bilder Rein optisch setzt sich das neue Orange-Topteil …

Wie es zum Selbstverständnis von Orange gehört, findet man auf dem Frontpanel stets nur das Nötigste. Der neue Orange 4 Stroke 500 macht einen sehr aufgeräumten Eindruck – wenngleich für Orange-Verhältnisse ungewöhnlich viele Regler zu erkennen sind! Farblich getrennt sind deutlich die Vorstufensektionen zu erkennen. Schwarz unterlegt mit weißen Potiknöpfen und ebenso weißen Piktogrammen und Beschriftungen liegt rechts die Klangregelung. Auch die Eingangsbuchse findet rechts außen Platz; darüber liegt ein Pad-Kippschalter zur optionalen Absenkung um -6dB des Eingangspegels.
Die aktive semiparametrische Vierband-Klangregelung beherbergt acht weiße Potis, die in zwei Viererreihen angeordnet sind. Jeweils zwei leicht diagonal versetzt übereinander liegende Paare dienen der Auswahl von Frequenzband (unten) und Boost-/Cut-Stärke (oben) des angewählten Frequenzbereiches. Während die untere Reihe also dazu dient, die EQ-Frequenzbänder anzuwählen, werden die ausgewählten Frequenzen mit der oberen Reihe angehoben bzw. abgesenkt.
Die vier Frequenzbereiche lauten (von rechts nach links):

  • Höhen: 550 – 5.500 Hz
  • Hochmitten: 250 – 2.500 Hz
  • Tiefmitten: 80 – 800 Hz
  • Bässe: 40 – 400 Hz

Man kann sich diese vier Frequenzbereiche sehr leicht merken, in dem man einfach die unteren Grenzfrequenzen 40, 80, 250 und 550 als Basis nimmt und dann jeweils mit 10 multipliziert. Auffällig ist, dass sich die Frequenzbereiche der vier Regler gegenseitig weit überlappen. Dies wurde bewusst so gestaltet und eröffnet einem interessante EQ-Möglichkeiten. Sollten die durchaus potenten +/- 18dB Boost oder Cut pro Frequenzband für einen anvisierten Sound nämlich dennoch nicht ausreichen, kann man zwei benachbarte EQ-Bereiche miteinander addieren/subtrahieren oder völlig neue interessante Kombinationen entdecken. Die Möglichkeiten sind sehr breit gefächert!
Dennoch funktioniert der EQ sehr intuitiv: Um die favorisierten EQ-Einstellungen zu finden, sind übrigens sämtliche Potis des Orange 4 Stroke 500 – inklusive Lautstärke und Kompressor – fein gerastert. Dabei ist die Wirkungsweise der Regler so effektiv, dass jedes einzelne Raster der Potis deutlich hörbare Veränderungen im Sound generiert.

Fotostrecke: 3 Bilder Die semiparametrische Vierband-Klangregelung des 4 Stroke 500 ist …

Weiter links liegt, orangefarben unterlegt, die Powerabteilung des Orange 4 Stroke 500. Sie ist deutlich erkennbar an den zwei übergroßen schwarzen Bakelitknöpfen, die zum einen für die Regulierung des Class-A-Kompressors und zum anderen für die Lautstärke zuständig sind. Es gibt nur einen einzigen Regler für die Lautstärke – klassischer könnte es wirklich kaum sein! Doch auch der Kompressor besitzt nur einen einzigen gerasterten Regler. Wie er sich auf den Sound auswirkt, untersuche ich später im Praxisteil dieses Tests.
Der Kompressor lässt sich auch mittels Fußschalter bedienen, welcher jedoch nicht im Lieferumfang enthalten ist. Allerdings kann jeder beliebige handelsübliche Latch-Schalter für diese Funktion verwendet werden, der an eine 6,3-mm-Klinkenbuchse neben dem Lautstärkeregler angeschlossen wird. Abgerundet wird das Frontdesign durch einen großen Netz-Kippschalter und darüber liegender orangefarbener Lampe.

Fotostrecke: 2 Bilder Das Kompressor- und das Volumenpoti des Topteils liegen ganz links.

Erwartungsgemäß ist auch die Rückseite recht spartanisch aufgebaut: Links sitzt ein XLR-DI-Ausgang mit Groundlift-Schalter, daneben eine 6,3mm-Lineout-Buchse. Der DI-Ausgang greift das Signal hinter der Vorstufe ab – wohlgemerkt also nach der Klangregelung und auch nach dem Lautstärkeregler. So ist es auch unter der XLR-Buchse deutlich gekennzeichnet mit “Post EQ & Post Volume”. Interessanterweise gibt es keine Option, das unbearbeitete Signal vor der Vorstufe, also mit einer “pre-EQ”-Einstellung abzugreifen. Wichtig zu wissen ist es daher, dass jede Veränderung am Kompressor und dem Volumenregler sich auch auf das DI-Signal auswirkt. Vor allem ist diese Information relevant, wenn man während eines Auftritts die Lautstärke des Amps verändert: die Lautstärke verändert sich somit simultan auch über die PA!
Ein großzügiger Lüfter sitzt am Rücken des Gehäuses und ist erfreulicherweise temperaturgesteuert. Das heißt, er nimmt seinen Dienst erst dann an auf, wenn die Endstufe eine bestimmte Betriebstemperatur erreicht. Das tut sie bei geringer Leistungsanforderung – z.B. im Wohnzimmerbetrieb – nie. Folglich verhält sich der Orange 4 Stroke 500 in dezenter Leistungsumgebung wirklich extrem ruhig und geräuscharm.
Für den Anschluss der Boxen stehen zwei Speakonbuchsen bereit. Die minimale Gesamtimpedanz von 4 Ohm darf nicht unterschritten werden. Man kann also beispielsweise eine 4-Ohm-Box anschließen, eine einzelne 8-Ohm-Box oder zwei 8-Ohm-Boxen, die kombiniert im Parallelbetrieb 4 Ohm ergeben. Im 4-Ohm-Betrieb entfaltet der Amp seine volle Leistung von 500 Watt.

Fotostrecke: 4 Bilder Auch das Rear Panel des Amps hält nur das Nötigste bereit.

Die Netzanschlussbuchse ist kombiniert mit einer integrierten T4AL-Sicherung. Ein versenkter roter Schiebeschalter ermöglicht das Umschalten der Netzspannung von 220-240V auf 110-120V. Von diesem Schalter sollte man jedoch tunlichst die Finger lassen, sofern man nicht wirklich den Amp in ein Land mitnimmt, in welchem andere Netzspannungen vorliegen. Sollte man in diese Gelegenheit kommen, muss zuvor noch die vorinstallierte T4AL-Sicherung durch eine T8AL-Sicherung ersetzt werden. Und natürlich darf man auch nicht vergessen, die Sicherung nach der Rückkehr in die Heimat abermals zu tauschen!

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