Es gab Zeiten, in denen man das legendäre Unternehmen Moog durchaus als Opfer seiner eigenen Erfolgsgeschichte ansehen konnte. Produkte mit dem Moog-Logo waren zwar nach wie vor extrem begehrt, fanden aber in erster Linie auf dem Gebrauchtmarkt statt. Mit Releases wie dem Voyager, den Moogerfoogern, dem Little Phatty und dem neuen Taurus schaffte man schließlich die Trendwende. Der Weg vom sagenumwobenen Vintage-Hersteller zurück ins Hier und Jetzt war gefunden – und das überaus erfolgreich.
Tradition und Moderne zu verbinden war schon immer eines der erklärten Ziele im Hause Moog, ein gutes Beispiel hierfür ist sicher der legendäre Memory Moog, einer der ersten speicherbaren Synthesizer (wow…). Und auch mit dem neusten Produkt, einer ersten Applikation für iOS ist Moog dem Puls der Zeit auf der Spur. Ob Filtatron nur eine weitere Audio-App im großen See der vielen Anwendungen ist, oder ob sie den Geist Bob Moogs in sich trägt und somit den unverwechselbaren Moog-Sound liefert, werden wir in diesem Test herausfinden. Moog Spaced Saw und Ladder-Filter, macht euch auf eine Anästhesie gefasst! Ich komme mit dem Skalpell!
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Details
“Yeah”….. Habe ich das gerade laut gesagt? Offensichtlich hat mir schon der Anblick dieser typischen Moog-Oberfläche Freude bereitet. Eigentlich selbstverständlich, dass die Moog-Designer auch bei einer App mit wundervollen Knöpfen, der einfachen, aber hilfreichen Unterteilung des Bedienfelds und den von Voyager und Phatty bekannten Leuchtkränzen arbeiten. Man hält auf einmal kein Apple-Produkt mehr in der Hand, sondern eben “den Moog”.
Die App unterteilt sich in fünf Screens, von denen drei der Klangerzeugung und -bearbeitung dienen. Teilweise lassen sich Sub-Screens oder Menüs aufrufen. Öffnet man die App, erscheinen in einer Leiste auf dem “Main”-Screen oben unter “Levels” drei Potis mit den Beschriftungen Line, Sampler und VCO. Also: Mit entsprechender Hardware kann man offensichtlich Line-Signale bearbeiten. Ist nichts angeschlossen, wird einfach das interne Mikro benutzt. Mit einem Klick auf VCO lassen sich die einfach gehaltenen Parameter des Oszillators einstellen: Release ist der einzige Zeitparameter, wird “enabled” daneben ausgeschaltet, schwingt der Oszillator dauerhaft. Im ausgeschalteten Zustand muss er mit einem Druck auf ein Pad (eine Menüseite weiter) getriggert werden, wo Level und Frequenz zur Verfügung stehen. Das grundsätzliche Level lässt sich jedoch auf der Main-Seite einstellen, genauso wie die jeweilige Schwingungsform. Diese kann stufenlos von dem etwas nasalen und hohlen 50/50-Puls auf den klassischen Spaced Saw gefadet werden.
Ebenfalls auf der Hauptseite findet man einen LPF, der sich bei Bedarf zum HPF umschalten lässt. Sogar parallele Verschaltung ist möglich – man kann zwischen beiden Typen nämlich faden! Dieses 24dB/Oct-Filter bietet – es ahnt schon jeder – Cutoff und Resonance. Rechts unten kann mit “Mix” das Filtersignal mit dem Dry-Signal gemischt werden, “Separation” darüber erlaubt es, ein Cutoff-Offset zwischen beiden Kanälen zu schaffen. Dreht man das Poti auf, wird die Eckfrequenz auf dem linken Kanal geringer, auf dem rechten höher. Ganz rechts befinden sich die Hüllkurvenverfolger- und die LFO-Sektion.
Der Envelope-Follower kann in seiner Schwelligkeit eingestellt werden, mit Amount regelt man, wie stark das feste Modulationsziel „Filtereckfrequenz“ beeinflusst wird. Dreht man von der Neutralstellung 12.00 Uhr nach links in Richtung “Vormittag”, wird die Cutoff abgesenkt. Der Niederfrequenzoszillator erlaubt als Form der Ausgangsspannung nicht nur Sine, Saw Up, Saw Down, Square und Sample & Hold, sondern auch viele Zwischenpositionen! Amount arbeitet wie bei der Envelope, Speed läuft entweder von 0,03 Hz bis 25 Hz oder im Sync-Mode von acht Takten bis zu 1/64-Note. “Sync” ist vielleicht etwas irreführend, denn dieser richtet sich nach dem, was die Tap-Funktion (Button in der Mitte) errechnet hat. Statt zu tappen, kann das aktuelle Tempo auch mit Press-Hold angezeigt und mit vertikalem Fingerzeig verändert werden. Sollte übrigens darüber ein Moog-Icon rot aufleuchten, clipt das Filtatron. Die zur Main-Page gehörende Unterseite namens FX ermöglicht unter „Amp“ das Hinzufahren von Drive und das Rückführen mittels Feedback. Das syncbare Delay bietet neben Mix und Feedback auch Modulationsrate und -tiefe.
Auf dem Reiter mit dem Namen Pads begrüßen den User zwei ebensolche. Mit einer klassischen XY-Matrix lassen sich oben VCF, LFO und Delay mit den Fingern steuern. Die jeweiligen XY-Parameterpärchen sind festgelegt: Cutoff/Resonance, Rate/Amount und Time/Feedback.
In der unteren Hälfte sind VCO (Frequency/Level), ENV (Speed/Amount) und AMP (Drive/Feedback) beheimatet. Wieder einen Screen weiter sitzt der Sampler. Dieser erlaubt neben dem Direktzugriff auf die Samples in der Library die Veränderung ihrer jeweiligen Wiedergabegeschwindigkeit (“nullfach” bis doppelt, auch rückwärts). Der Sampler ist recht simpel, da er nur ein File wiedergeben kann und auch kein Keymapping möglich ist – wie auch ohne Keyboardfunktion oder MIDI-In?! Allerdings lassen sich im Fenster mit der Schwingungsformdarstellung Start- und Endpunkte des Samples setzen, ein normaler Loop ist automatisch aktiviert. Außer Play und Stop gibt es eine weitere Laufwerksfunktion: Record! Aufnehmen, Namen eingeben, Play drücken. Oben rechts findet man über einen Menü-Button die Möglichkeit, Copy und Paste auszuwählen. Der Preset-Screen beinhaltet keine Überraschungen. Neben der eigentlichen Liste gibt es hier noch die Möglichkeit zum Save, Save As… und zum Versenden eines Preset-Files per E-Mail.
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Praxis
Wie gut, dass bonedo keine Print-Zeitschrift ist und wir Texte und andere Medien unmittelbar miteinander verknüpfen können. Denn könnte ich nur schreiben und das Geschriebene nicht mit Audios unterfüttern, würde ich an dieser Stelle glatt verzweifeln. Oder ihr würdet mir vielleicht sogar nicht glauben. Aber hört am besten selbst!
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Beat 1SweepsBeat 2“Yeah”-Sample
Und? Ist das nicht geil? Sind das nicht die originalen Moog-Sounds, die Synthesizerfreunde glücklich machen? Und an alle “Neulinge”: Na, kommt euch diese Wärme und diese Wucht nicht von vielen Produktionen bekannt vor? Ich weiß fast nicht, wo ich anfangen soll, gehen wir daher den guten alten Weg der Signalkette. Der VCO alleine trägt schlicht und einfach schon Moog-Gene, dies lässt sich vor allem beim Sägezahn nicht leugnen. Die ausgewogene Mischung aus Aggressivität und Wärme, die man in so viele Richtungen beeinflussen kann, ohne dass der Sound seinen Moog-Charakter verliert, ist wirklich hervorragend umgesetzt. Das Filter schlägt in die gleiche Kerbe, denn es liefert Moog-Sound durch und durch. Besonders die Dicke des LPF, die mit vier Polen für den Großteil der Anwendungen genau richtige Flankensteilheit und die selten nervige und angenehm weiche Resonanz sind so gut umgesetzt, dass man einen Phatty vor sich wähnt – doch es ist immer noch ein Telefon! Damit ist das iPhone von meinem ersten Philips-Handy klanglich so weit entfernt wie Dizzy Gillespie von Blockflötenunterricht im Kindergarten.
Da ich meinen Test wie es sich gehört in der “Außenwelt” durchgeführt habe, hielten mich die Besucher eines Cafés in Köln-Nippes sicher für total durchgeknallt, als ich wie ein Besessener euphorisch auf meinem Telefon herumdrückte…mit Kopfhörern auf den Ohren: Wer weiß, was ich außer “Yeah” noch so alles laut hörbar von mir gegeben habe? Peinlich! Ach was: verständnislose Blicke hin oder her. Das verzückte Kurbeln und Drehen am Filtatron werde ich bestimmt nicht mehr missen wollen.
Bringt man die Modulationen ins Spiel, wird es richtig lustig. Und natürlich ist es die beste Idee, möglichst viel mit den Pads anzustellen. XY ist zwar ein alter Hut, aber in Verbindung mit dieser Soundqualität kann mich momentan kaum etwas mehr flashen, als zwei Finger über das iPhone-Display wandern zu lassen. Kommen dann erst verhaltene, dann vollständig ausartende Delay–Einsätze und die Amp-Zerre samt Feedback ins Spiel, gibt es kein Halten mehr. Sogar aus dem Nichts mit den Feedbacks schrägste Soundscapes zu basteln funktioniert! Schön ist, dass man mit Sample-Record den Ausgang des Filtatron aufzeichnet. Wie bei meinem alten E-Mu ist das also eine Art von Re-Sampling (hier leider begrenzt auf 10 MB Größe). Dennoch: Ich kann kaum glauben, dass mein Tonic Water und das mickrige Stück Kuchen auf meinem Cafétisch mehr kosten als dieses Programm. Kurz holt mich ein trauriger Gedanke auf den Boden der Tatsachen zurück: Schade, dass der gute Bob Moog diese App nicht mehr erleben durfte. Dennoch an dieser Stelle: Danke, großer Meister!
So, und wo sind die Haken? Nun, in meiner Version, die ich am Releasetag heruntergeladen habe, funktionierte Audio Copy/Paste noch nicht, weil das Filtatron in den Listen mit den unterstützten Programmen der Sonoma Wire Works noch nicht auftauchte. Dies wird aber sicher nur eine Sache von Tagen sein. Der File-Transfer mit ftp funktioniert äußerst einfach, jedoch lassen sich bei der Nutzung in “freier Wildbahn” Files auf diese Weise nicht hin- und herschieben. Im Live-Betrieb mit Mikrofon störte die nicht ganz zu vernachlässigende Latenz zwischen In- und Out. Hier stellt sich natürlich die Frage, ob ein Telefon nicht vielleicht doch die falsche Plattform für derartige Vorhaben ist. Vielleicht lässt sich am Code noch etwas optimieren, vielleicht müssen wir auf die nächste Hardware warten.
Die Bedienung ist hervorragend, die Parameter sind sinnvoll unterteilt, jeder Button kann selbst auf einer Bühne oder der ruckeligen Straßenbahn treffsicher gefunden werden. Lediglich bei den kleinen Fähnchen zur Einstellung Samplestart und -ende habe ich ab und zu ins Leere gegriffen. Schade ist jedoch, dass es keine Rasterungsfunktion für den Parameter “Sample Speed” gibt, denn nach wildem Herumdrehen wieder die “x 1,0” zu treffen, ist äußerst schwierig. Im Zusammenspiel mit anderen Instrumentalisten wäre zudem notwendig, den VCO im Pad zumindest chromatisch rastern zu können.
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Auch wenn ihr sonst eher der Gemeinde der iPhone-User angehört, die nur “Free”-Apps aus dem iTunes-Store herunterladen: Der Moog Filtatron ist sein Geld wert! De-fi-ni-tiv! Klanglich erhält man für vier Euro schlicht und einfach einen echten Moog. Dieser ist mehr als nur Spielerei und Zeitvertreib, denn man kann Sets aus Samples und Parameterzusammenstellungen vorbereiten und sich mit dem iPhone auf die Bühne stellen, ohne sofort zu langweilen. Die beiden Pads sorgen für Spaß bei der Bedienung, aber auch sonst geht das Bedienkonzept voll auf. An der Contra-Seite zerren zwar noch ein paar winzige Topics am hervorragenden Bild, das der Moog abgibt, doch insgesamt kann man festhalten: Filtatron klingt unfassbar gut, lässt sich leicht bedienen und ist wirklich preiswert. Moog haben ein iOS-Debüt hingelegt, das seinesgleichen sucht. Übrigens, psst: Ich habe gehört, dass bei denen noch mehr in der Pipeline ist…
Unser Fazit:
4,5 / 5
Pro
sehr gut umgesetzter Moog-Sound
vernünftige Parameterwahl
stimmiges Bedienkonzept
Contra
Latenz des Mikrofon-Signals
Moog Filtatron Test
Moog Music Inc. Filtatron 1.0
monophoner, subtraktiver Synthesizer mit Sampler, Line-In und zwei XY-Pads
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