Mix Tech Lab MIDI Deck Test

Einige Leser bekommen bei dem Begriff “Lemur” sicherlich leuchtende Augen. Der 12”-Multitouch-Controller aus dem Hause Jazzmutant erblickte 2008 das Licht der Welt, um Studiobetreibern ein interessantes und zugegebenermaßen aufgrund des Preises von knapp 3000 Euro recht exklusives Eingabegerät zu offerieren. Der Hersteller hat die Fertigung mittlerweile eingestellt. Doch das Konzept lebt abgewandelt weiter, denn seit Einführung des iPads schießen Touch-Applikationen für Musiker und DJs wie Pilze aus dem Boden. Wen wundert es, sind die Kosten für das Apple-Tablet vergleichen mit dem Lemur doch eher gering.

Teaser_MIDI_deck


Dass externe Bedienschnittstellen nicht nur im Studio ihren festen Platz haben, sondern auch bei Deejays hoch im Kurs stehen, lässt sich am Beispiel von Traktor und Serato gut verdeutlichen. Zu Beginn als reine Vinyl-Emulationen ausgelegt, werden sie im Zuge der ständigen Feature-Erweiterungen immer wieder mit neuen MIDI-Controllern beglückt. Allein Traktor kann für sich bis dato über zwei Dutzend maßgeschneiderte Controlettis verbuchen. Nun schickt sich auch das Touchpad an, den Anwendern als taktile Kommandozentrale zur Seite zu stehen und ruft große und kleine Softwareschmieden auf den Plan, ihre kreativen Ideen in Programm-Code umzusetzen. IOS-SDK statt Fräsmaschine, sensitive Felder statt Fader von Penny & Giles und am Ende zahlt der User einen Zehner für die App statt eine dreistellige Summe für die Hardware hinblättern zu müssen. Mein Testkandidat MIDI-Deck kostet aktuell 7,99 Euro und ist eine kabellose Fernbedienung für Serato Scratch Live 2.1. Zu den Hauptmerkmalen gehören Steueranweisungen für die Decks, Musikbibliothek, Effekte und Cuepoints, sowie kostenlose Updates. Ob das reicht, um den direkten Konkurrenten MIDI-to auszustechen?

DETAILS

Ehrlich gesagt hat mich der Anblick des Screens zunächst ein wenig erschlagen. Zwar sind einige der Funktionsgruppen farblich voneinander abgesetzt, aber es tummeln sich über 120 sensitive Felder auf der grafischen Benutzeroberfläche. Das ist bei einer Auflösung von 1024 x 768 Punkten und 132 ppi auf einem 9,7 Zoll-Screen eine stattliche Anzahl, daher sind einige nur ein paar Millimeter klein. Die Startseite ist in fünf Themengebiete aufgeteilt. Gut zugänglich an der linken Außenseite ist der Sampleplayer SP6 untergebracht. Er hat vier Bänke und sechs Pads im Gepäck. Erweiterte Funktionen, etwa für die Wiedergabemodi (Shot, Loop, etc…) oder die Lautstärke sind nicht implementiert. Im Zentrum zwischen den Decks sind die beiden Effekt-Racks untergebracht. Je drei virtuelle Potis und Schaltflächen dirigieren eben so viele Klangverbieger im Superknob-Modus mit einer Auflösung von 127 Schritten. Ein Auswahlmenü fehlt leider noch, soll aber bald nachgereicht werden.

Über 100 Bedienelemente auf dem Hauptbildschirm laden zum Kreativ-Feuerwerk ein!
Über 100 Bedienelemente auf dem Hauptbildschirm laden zum Kreativ-Feuerwerk ein!

Das Herzstück der App bilden die beiden Kreativabteilungen mit je zwei virtuellen Fadern, einem Drehregler und 47 Schaltflächen. Die Transportsteuerung sitzt im Süden, die Tempoabteilung rechts aussen. Cues finden sich auf dem linken Flügel wieder und die Schleifenfraktion nimmt die untere Basis ein. Hinzu kommen einige Goodies wie Instant-Double, Keycorrection, Reverse und Tempo-Tapper, die sich im Zentrum angesiedelt haben. Am oberen linken Bildschirmrand sind Deckselektor und Multi-Button-Speicher untergebracht sowie zwei Links zu den Popup-Seiten für Navigation und Settings.

Umfangreiche Unterseite mit Browser- und Layout-Features
Umfangreiche Unterseite mit Browser- und Layout-Features

Hinter der Schaltfläche “Navigation” verbergen sich allerlei nützliche Felder zur mauslosen Interaktion mit der Musikbibliothek und der Verzeichnisstruktur. Zum Beispiel ein angenehm großes Steuerkreuz mit vier Richtungstasten und Fokus-Tab, vier Schaltflächen für den Direktzugriff auf Files, Browse, History und Prepare, Load-Buttons für die Vorbereitungsliste und die Softwareplayer. Sie machen die Navigation im Datenbestand zum Spaziergang. In der oberen Spalte platzierten die Programmierer Schalter zum Wechsel zwischen horizontalen und vertikalen Layout-Vorlagen. Selbst die Browser-Views Sample, Grid und List können bequem von iPad aus aktiviert werden. Ferner besteht die Möglichkeit, Crates anzulegen – aber nicht, sie zu benennen. Settings öffnet das spartanische anmutende Konfigurationsmenü. Hier lassen sich die Screen-Ausrichtung angeben und die benötigten Daten für den Handshake mit dem Scratch-Live-Computer einpflegen.

PRAXIS

Bevor es an die Mixsession geht, ist ein Netzwerk für die beteiligten Geräte zu definieren. Ist das Traffic-Aufkommen im WLAN hoch oder benötigt der DJ während des Sets keine Internetverbindung, empfiehlt es sich, eine separate Verbindung anzulegen, die lediglich iPad und Notebook verbindet. Dieser „Ad Hoc“-Kontakt ließe sich auch problemlos im Club verwenden. Die benötigten Supportfiles stehen auf der Herstellerseite zum kostenlosen Download bereit. Dieser enthält neben dem Readme-Text eine XML-Konfigurationsdatei für Scratch-Live und das Setup für den MIDI-DECK-Server. Nachdem dieses ausgeführt wurde, verschiebt man die XML-Datei in den Scratch-Live MIDI-Ordner. Diese XML ist beim Aufruf der Serato-Software manuell zu laden. Nachdem beide Applikationen gestartet wurden, findet der Server den Computer automatisch und weist dessen IP aus. Diese Adresse ist im Settings-Tab der App einzutragen und es kann losgehen.

Fotostrecke: 2 Bilder Der MIDI-Server ist schnell installiert und …

Timecodes auf den Teller und „App“ dafür: Die Software aus dem Hause Mix Tech Lab bietet wirklich eine Riesenpalette Knöpfe, um die kreativen Eingebungen während einer Serato-Session in Tonfolgen umzusetzen. Die Seite mit den Navigationselementen vermittelt einen strukturieren und aufgeräumten Eindruck, damit ist man wirklich sehr zielsicher unterwegs. Bedauerlicherweise sieht das für die Hauptseite ein wenig anders aus, denn sie wirkt für meinen Geschmack viel zu überladen. Ferner liegen die Schaltflächen zu dicht beieinander, so dass eine Fehlbedienung nicht ausgeschlossen ist. Zudem sind an einigen Stellen im Programm Doppelklicks oder besser gesagt Doppel-Trigger nötig. Möchte der Akteur Rolls nutzen, werden diese über den Roll-Button ausgelöst. Um einen kleineres Intervall festzulegen, ist allerdings ein Hieb auf die entsprechende Loop-Fläche nötig, wobei leider die Schleife eingeschaltet wird. Das ist in meinen Augen nicht ideal gelöst.

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Loops and Rolls

Was die vertikale Anordnung der Cuepoints an den Außenseiten angeht, ist festzustellen, das sich einzelne Songmarkierungen so zwar problemlos anfahren lassen, die Position aber eher ungeeignet ist, um damit Cuejuggling zu betreiben. Apropos Cuejuggling: Die fingernagelgroßen Taster können weder in puncto Bedienkomfort noch hinsichtlich Timing mit ihren realen Gummi-Brüdern gleichziehen. Das macht sich vor allem bei schnellen Triggern von Loops, Rolls und Cuepoints bemerkbar.

Bedauerlicherweise ist die App im Test mehrfach ohne ersichtliche Gründe abgestürzt. Scratch Live spielt die Musik natürlich weiter ab. Nach einem erneuten Programmaufruf funktioniert auch MIDI-to wieder. Schade auch, dass die Load-Buttons für die Player so nah an Key und Thru platziert sind. Ist eine ungewollte Tonhöhenverschiebung vielleicht noch tragbar, hat ein versehentliches Auslösen des Thru jedoch ein unangenehmes Timecode-Fiepen auf der Anlage zur Folge. Uuups! Weiteren Anlass zur Kritik bildet die Effektsektion, denn die Drehregler werden hinsichtlich der Intensität über Nord/Süd-Bewegungen definiert, wobei der DJ durchaus mit dem Finger in nahe gelegene Funktionsbereiche vorstoßen kann. Zwar können die Loop- und Cue-Punkte mit einem Tippen auf das kleine rote Schloss gegen versehentliches Betätigen deaktiviert werden, doch das Gelbe vom Ei ist das nicht! Wie man es auch dreht und wendet, vielleicht wären weitere Unterseiten die bessere Alternative gewesen. Ferner hätte ich gern aktuelle FX-Werte direkt am iPad abgelesen. Nachfolgend hört ihr einige Tweaks, die mit der Apfeltablette gesteuert wurden.

Audio Samples
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Phaser Flanger Spectrum Up-Sucker

Die Button-Modi sind nicht immer optimal gewählt (Transportsektion, FX-On, manuelle Loops, …), denn sie operieren teilweise im Hold-Modus, obwohl der Toggle-Mode die bessere Lösung darstellt. Das hat zur Folge, dass Schaltflächen am iPad teilweise nicht äquivalent zur Software leuchten. Es gibt also durchaus noch Verbesserungspotential. Laut Hersteller ist bereits ein kostenloses Update in der Mache, welches multiple Seiten, Single-Deck-Ansichten und die Einbindung mehrerer i-Geräte zum gemeinschaftlichen Remixen unterstützen soll. Außerdem wollen die Entwickler in der nahen Zukunft spezielle Settings für sämtliche Serato-Produkte in die App einfließen lassen (Sixty Eight, SL57, SL3 etc.). Auf ihrer Website empfehlen sie Seratos SL1-Box, da MIDI-Deck und das zugehörige Mapping auf zwei Player ausgerichtet sind. Deck drei am SL3 ließe sich also nicht per Touchscreen steuern. Aber vielleicht via Bridge?

The Bridge bietet Serato-Anwendern ein Abelton-Live-Deck.
The Bridge bietet Serato-Anwendern ein Abelton-Live-Deck.

FAZIT

MIDI-Deck ist eine Software zur kabellosen Fernsteuerung von Serato Scratch Live 2.1 mit dem iPad. Zur Übertragung der Anweisungen kommuniziert das Programm über WiFi. Es ist schnell in ein neues oder bestehendes Netzwerk eingebunden und ermöglicht dann den mauslosen Zugriff auf die Musikbibliothek, die Ordner-Struktur, sowie Steuerfunktionen für Loops, Cues, den Sample-Player und die Effektgarnison. Viele Elemente geben ein visuelles Feedback und die Bedienung ist schnell verinnerlicht, doch die Rückmeldung könnte durchaus noch stringenter programmiert sein. Sicherlich ist das Layout einer Kontrolloberfläche immer auch eine Sache des persönlichen Workflows, doch bei über 100 Bedienelementen auf der Main-Page wird es ziemlich eng und eine ungewollte Fehlbedienung ist aufgrund der geringen Abstände ist nicht ausgeschlossen. Das ist nichts für große Finger. Das gilt im besonderen Maße auch für die Drehregler der Effektabteilung. Zudem sind an einigen Stellen Doppelklicks nötig, was nicht nur Mac-Usern eher umständlich erscheinen dürfte und mir an Hardwarecontrollern so noch nicht unterkam. Zur Latenz: Die Response-Time über Touchscreen und Wireless-MIDI ist nicht so präzise, wie man es von typischen DJ-Werkzeugen kennt. Das ist aber nicht ausschließlich MIDI-Deck anzulasten, sondern hauptsächlich architekturbedingt. MIDI-Deck bietet gute Ansätze, leidet aber in seiner aktuellen Versionsnummer 1.0 noch an sporadischen Abstürzen. Daher ist mit 7,99 Euro für mich die Schmerzgrenze erreicht. Wir warten gespannt auf das nächste Update.

Teaser_MIDI_deck

Hinweis: Die App ist aktuell nicht mehr im App Store verfügbar (Stand 06/2017). Eine Alternative wäre Serato Remote.

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