Zu den beliebtesten Transistor-Preamps zählt zweifelsohne der Neve 1073 – beziehungsweise seine vielen Derivate.
Nicht nur AMS Neve selbst, auch andere Hersteller wie BAE, Warm oder Heritage stellen diverse Geräte auf Basis der legendären Schaltung her. So gibt es viele, die ausschließlich die Vorverstärker-Sektion oder nur den EQ bieten, aber auch verschiedene Kombinationen. Im klassischen Kassettenformat für die alten Neve-Pulte ist ein spezielles Housing vonnöten, aber auch 19“-Versionen, „miniaturisierte“ Geräte für APIs Series 500 und Desktop-/Standalone-Geräte sind verfügbar.
1073: Nicht ohne Grund beliebt
Als Pult-Preamp und -EQ sind 1073er natürlich für jegliche Art von Signalen geeignet. Heutzutage werden für Signale, bei denen es auf das letzte Quäntchen Detail, Transparenz und Brillanz ankommt, andere Geräte bevorzugt. Besonders im Rock-Sektor sind die Class-A-Geräte beliebt. Assoziiert werden Neves mit angenehmer Sämigkeit in den Höhen, hoher Präsenz und „Griffigkeit“, ohne dabei bissig zu werden. Auch werden die Signale bei höherem Gain gerne etwas dicker, aber nicht „verklebt“. Durch sein enormes Gain sind Neves nicht nur tolle Partner für Kondensatormikrofone, sondern auch für dynamische Tauchspulen- und Bändchenmikrofone. Charakteristisch für den Equalizer sind die Spulen in den Mitten und die „musikalisch“ gewählten Einsatzfrequenzen, die sich beim Mischen immer wieder als gut ausgewählt herausstellen. Einen 1073 oder auch seinen „Kollegen“ 1084 zu bedienen, ist mit ein paar Hürden versehen. Allerdings sind diese schnell überwunden – dazu gibt es diesen Artikel hier.
Diese Briten: Fahren auf der falschen Straßenseite, messen Entfernungen in Feet und Yard und können kein einfaches Gain-Poti bauen!
Wer das erste Mal auf den Gain-Switch eines Neve 1073 blickt oder sogar die Hand ausfährt, um ihn zu bedienen, wird sich wahrscheinlich wundern. Deutlich komplizierter als ein einfacher Gainregler, der irgendwo bei sieben Uhr mit seiner Minimalverstärkung beginnt und bei fünf Uhr sein Maximum hat. Doch natürlich hat alles seinen Sinn und auch seinen Reiz. Zunächst: Das Gain ist in 5dB-Schritten gerastert und wird für Mic- und Line-Signale getrennt voneinander eingestellt, da dort andere Eingangsimpedanzen und unterschiedliche Übertrager das Signal erwarten.
Auf der rechten Seite findet bei einem frequenzabhängigen Widerstand von 10 kOhm ausschließlich die Verstärkung mit der Line-Signale statt. Ausgehend von der „Off“-Position bei etwa fünf Uhr bewegt man den charakteristischen roten Knopf gegen den Uhrzeigersinn für mehr Verstärkung. Typische Falle: Bei manchen Geräten und mancher Beleuchtung lässt sich der weiße Markierungsstrich der symmetrisch aufgebauten Flügelkappe nicht so leicht erkennen, das verwirrt dann zusätzlich.
Will man Mikrofonsignale verstärken, geht es links herum mit dem Schalter. Kuriosum: Zwischen 50 und 55 befindet sich eine weitere Off-Stellung. Die Eingangsimpedanz des Mic Pres beträgt 1200 Ohm und liegt damit im Bereich der geforderten Überanpassung (über Faktor 5) von Mikrofonen, die meist unter 200 Ohm Impedanz aufweisen. Um klangliche Variabilität zu ermöglichen, ist bei 1073ern die Impedanz auch meist auf 300 Ohm senkbar. Modernere 1073-Konzepte haben dazu einen einfach zu bedienenden Schalter auf der Vorderseite statt irgendwo auf der Rückseite des Moduls.
„Clones“ klonen häufig nicht, sondern sind nur nähere Verwandtschaft
Ich selbst besitze keinen originalen 1073. Auch, weil das ein teurer Spaß ist. Stattdessen habe ich mir vor einigen Jahren einen (dennoch hervorragend klingenden!) Heritage Audio ’73 Jr. (und den zugehörigen EQ) für die Lunchbox gekauft. Dort erkennt man, dass der Gain Switch zwar auf den ersten Blick sehr ähnlich ist, aber das Konzept ein ganz anderes ist: Line und Mic werden dort per schnödem Schalter umgeschaltet.
Anders als die originalen 1073-Module hat zum Beispiel der spanische Nachbau einen Output Trim, allerdings gilt das für die meisten Adaptionen: Schließlich fehlt der Channel Fader, der sich sonst dem ursprünglichen Mischpultmodul anschließt. Praktisch: Damit kann man mit hohem Gain „heiß“ fahren und anschließend zähmen, um den Eingang des nachfolgenden Geräts nicht zu überfahren oder ein die Qualität verschlechterndes Pad einsetzen zu müssen. Auch sollte man durchaus mal probieren, Mikrofonsignale mit Line- und Linesignale mit Mikrofonsettings zu verstärken, wenn es die notwendigen Gains zulassen. Der Unterschied durch verschiedene Impedanzen ist nicht immer riesig und nicht immer toll, aber manchmal ist das genau die Klangvariation, die man benötigt.
Auch die EQ-Sektion ist etwas „quirky“
Der an den Preamp angeschlossene Kanalzug-Equalizer ist bei genauerem Hinsehen zwar auch verständlich, doch wurde er offenbar geplant, bevor Fachmagazine Begriffe wie „intuitiv“ und „selbsterklärend“ benutzt haben. Generell gilt: Jedes Frequenzband besitzt einen Regler. Diese Regler sind aber üblicherweise konzentrisch ausgeführt.
Mit der eigentlichen Potikappe wird das Gain des jeweiligen Bandes geregelt. Besonders ist hier, dass die Sechsuhrstellung die Ausgangsposition ist. Das ist also wie mit dem Drehzahlmesser vieler italienischer Sportautos, der bei ausgeschaltetem Motor senkrecht nach unten hängt.
Gegen den Uhrzeigersinn gedreht, verringert sich das Gain des Bandes, mit dem Uhrzeigersinn wird verstärkt. Die Maximalhübe sind abhängig vom Band und dem tatsächlichen Design. Üblich sind bis zu 16 dB und bis zu 18 dB in den Mitten.
How to: Pultec-EQ bedienen (incl. “Pultec-Trick”)
How to: 1176 bedienen (incl. All-Buttons-Trick)
Ähnlich wie beim Electrodyne 511 wird die Bearbeitungsfrequenz mit dem äußeren Bedienelement geregelt. Beim Neve ist dies ein Metallring. Steht er auf drei Uhr, ist das Band auf Bypass geschaltet.
In den Höhen arbeitet beim 1073 ein sanft verlaufendes Shelving-Band mit +/-16 dB. Der -3dB-Punkt liegt bei 12 kHz. Der 1084 ermöglich zusätzlich die Auswahl von 10 und 16 kHz. Das Tiefen-Filter ist identisch bei 1073 und 1084: Dieses ebenfalls flach verlaufende Kuhschwanzfilter erlaubt folgende Grenzfrequenzen: 35, 60, 110 und 220 Hz. Die Mittenfrequenzen sind bei fester Bandbreite um 360 Hz, 700 Hz, 1,6 kHz, 3,2 kHz, 4,8 oder 7,2 kHz veränderbar. Beim 1073-Verwandten Neve 1084 lässt ein Band auch auf „High Q“ stellen und erreicht dann +/-18 dB statt ansonsten +/-12 dB. Hochpassfilter bieten 1084 und 1073, ein Tiefpass nur der 1084. Die Frequenzen sind leicht unterschiedlich, aber die Steilheit ist die gleiche. Sie beträgt 18 dB/oct, also ist das Filter dreipolig.
Tests von 1073-Geräten
Nachfolgend findet ihr einige Hardware-Geräte, vom aktuellen AMS Neve 1073-Preamp und -EQ für das API Series 500 System und preiswertere Nachbauten: