Steinberg veröffentlicht Cubase 12 und macht damit eine verhältnismäßig spektakuläre Ankündigung wahr: Der Dongle ist weg! Alle Ausbaustufen der DAW-Software wurden bis hin zur großen Pro-Version auf ein ID-basiertes Linzenzsystem umgestellt. Nun können sie ohne den bisher benötigten USB-Kopierschutzstecker und auf bis zu drei Rechnern gleichzeitig aktiviert werden.
Auch wenn dieser Punkt für manche Anwender bereits ausreichen mag: Cubase 12 bietet natürlich noch viele weitere neue Features. Dazu gehören das lang erwartete Audio-Warp für Multitrack-Aufnahmen, ein erweitertes und extrem offenes System für DAW-Controller, mehrere neue Plugins und Sounds und haufenweise Workflow-Verbesserungen. In unserem Review fassen wir die Informationsflut zusammen und bieten einen Überblick zu den neuen Funktionen.
DETAILS & PRAXIS
Der Dongle geht, VST2 bleibt
Dass der eLincenser nicht mehr benötigt wird, kündigte Steinberg bereits mehrere Monate vor dem Release von Cubase 12 an – die Details blieben aber erst einmal unklar. Inzwischen steht fest: Mit dem neuen Licensing auf ID-Basis kann Cubase nach einmaligem Freischalten auf bis zu drei Rechnern gleichzeitig aktiviert werden. Danach lässt sich die Software auch ohne Internetverbindung dauerhaft nutzen.
Die Befürchtung, dass man sich regelmäßig auf dem Steinberg-Server einloggen müsste, um Cubase am Laufen zu halten, ist nicht eingetreten. Vorrübergehend eingeschränkt bleibt man bei der Nutzung von zusätzlichen Steinberg-Produkten, wie z. B. bei der Vollversion von HALion Sonic. Sie wurden noch nicht auf das neue System umgestellt und benötigen nach wie vor den eLicenser. Das sollte sich in den nächsten Wochen und Monaten aber ändern.
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Schon vor längerem hatte Steinberg angekündigt, dass die Unterstützung des VST2-Formats für Plugins in der nächsten Zeit wegfallen soll und man in Zukunft ausschließlich auf das effizientere VST3-Format setzen würde. Das trifft erst einmal nur bei der Verwendung von Silicon-Macs zu, wobei die entsprechenden Plugins auch in diesem Fall unter Rosetta 2 genutzt werden können. Alle anderen Systeme sind nicht betroffen. Und das ist auch gut so, denn nach wie vor nutzen mehrere namhafte Dritthersteller (z. B. Universal Audio, Soundtoys oder Native Instruments) zumindest teilweise VST2.
Endlich: verbessertes Audio-Warp
Im Gegensatz zu vielen anderen DAWs bot Cubase bisher keine Möglichkeit, Multitrack-Aufnahmen über Audio-Warp zu bearbeiten, ohne dabei Phasenschweinereien zu erzeugen. So war man in der Vergangenheit z.B. beim Quantisieren von akustischen Drums auf die Old-School-Methode angewiesen. Man musste das Material schneiden, verschieben und Lücken über Crossfades schließen.
Über phasenkohärentes Audio-Warp (Pro, Artist) lassen sich nun ganze Gruppen von zusammengehörigen Spuren im Sinne von Elastic Audio bearbeiten. Weil das direkt aus dem Projektfenster heraus möglich ist (gilt natürlich auch für Einzelspuren), muss man nicht einmal mehr den zugehörigen Editor öffnen. Das gestaltet insbesondere den Timing-Angleich unterschiedlicher Instrumente (z.B. Drums und Bass) übersichtlicher. Für alle, die häufig mit mehrfach mikrofonierten Aufnahmen arbeiten, ist dieses sehnsüchtig erwartete Feature extrem hilfreich.
Die Verbesserungen im Bereich von Audio-Warp betreffen nicht nur Multitrack-Aufnahmen. Wird das Tool im Sample-Editor genutzt, können mehrere ausgewählte Events (auch aus unterschiedlichen Takes) gleichzeitig bearbeitet werden. Die Warp-Bearbeitung einer Spur lässt sich nachträglich kopieren und auf andere Spuren übertragen. Vor allem bei der Arbeit mit gedoppeltem Material wie Chorstimmen oder Gitarrenspuren ist das Feature ein echter Zeitsparer.
Offenes System für DAW-Controller
Mit der MIDI-Remote-Integration bietet Cubase 12 (Pro, Artist, Elements) die Möglichkeit, jede Art von MIDI-Controller für die DAW-Funktionen zu nutzen. Dabei können Taster, Regler und Fader der Hardware direkt in Cubase zugewiesen werden, und so die unterschiedlichsten Funktionen und Parameter steuern. Eingerichtet wird all das über eine grafische Oberfläche, die wie ein Baukastensystem für Bedienelemente funktioniert.
Ein Mapping-Assistent hilft bei der Funktionszuweisung und bietet nicht nur Zugriff auf die üblichen Grundfunktionen, sondern z.B. auch auf alle verfügbaren Tastatur-Shortcuts und Macros. So lassen sich in kurzer Zeit umfassende Controller-Scripts erstellen. Zu gewissen Anteilen wurde das Feature vermutlich von Ableton Live inspiriert (MIDI-Learn für alles). In Kombination mit den Features von Cubase bietet es enorme Möglichkeiten.
Im Test ist es mir gelungen, einen Akai MPD 24 (MIDI-Controller im MPC-Stil, nicht direkt unterstützt) so einzubinden, dass sich der Control-Room in Cubase über seine Drum-Pads und Fader steuern ließ. So wird z. B. zwischen Abhörsystemen umgeschaltet, das Talkback aktiviert oder die Lautstärke des Clicks geregelt. Ein ganz wesentlicher Punkt ist zudem die Integration der Quick-Controls in die Oberfläche von Plugins. Auf diese Weise lassen sich auch die Parameter von Instrumenten und Effekten steuern – sofern das entsprechende Fenster geöffnet und das Plugin „im Fokus“ ist.
Verve: weiche Klavierklänge
Bei Verve handelt es sich um eine umfangreiche Sample-Library für den in Cubase enthaltenen HALion Sonic SE. Sie stellt ein verträumtes Filzklavier bereit und hat dabei sogar zwei Mikrofonpositionen (Close-Mics und Room) im Gepäck. Die übrige Parametrisierung ist vielfältig: Der Sustain-Resonanz-Anteil und die Anschlaggeräusche können so etwa geregelt werden. Damit geht Verve deutlich über die üblichen Brot-und-Butter-Sounds aus Halion Sonic SE hinaus und zeigt sich für eine DAW-Standardausstattung erfreulich speziell.
Die sanften Piano-Klänge aus Verve eignen sich insbesondere für Filmmusik, aber auch zur allgemeinen Musikproduktion sind sie verwendbar. Sowohl eine Funktion für Synth-Layer als auch eine kleine Effekt-Suite wurden direkt eingebaut. Sie sind mitverantwortlich für eine stattliche Anzahl von Presets. Fun-Fact: Um eine möglichst hohe Präzision zu erreichen, wurden die Samples beim Recording der Library von einem Ein-Finger-Roboter eingespielt. Hört man das Ergebnis, könnte man dem Roboter einen ausgeprägten Hang zur Melancholie unterstellen.
Neue und verbesserte Plugins
Cubase 12 kommt mit mehreren neuen bzw. überarbeiteten Plugins. Beim FX Modulator (Pro, Artist) handelt es sich um einen Multieffekt mit bis zu sechs Effektmodulen, der vor allem mit seinen frei anpassbaren Modulationskurven glänzt. Das Plugin bietet eine unkomplizierte Möglichkeit zum Erstellen komplexer Modulationsverläufe: Einfache Synth-Pads werden mit mehr Bewegung versehen oder vollständig verfremdet, Drum-Loops wird neues Leben eingehaucht. Dass der Effekt sowohl über MIDI als auch über einen Sidechain-Eingang getriggert werden kann, um nur an bestimmten Stellen zuzugreifen, stellt außerdem eine Besonderheit dar. Auf allzu abenteuerliche Modulationen (z.B. die Modulation von Modulationskurven) wird dabei verzichtet – ein zeitgemäßer Effekt fürs Sounddesign, der sicherlich viele Anwender findet.
Der Pro-Version vorbehalten bleibt ein Limiter namens Raiser, der Intersample-Peaks erkennt und die Wellenform grafisch darstellt, wie man es z.B. vom Hersteller Fabfilter her kennt. Mit seinen vielseitigen Release-Einstellungen eignet er sich sowohl zum sanften Zähmen von Pegelspitzen als auch für den aggressiven Einsatz auf Subgruppen oder dem Master-Bus. Das ebenfalls neue LINone Dithering-Plugin wurde vom Hersteller MAAT lizensiert und gehört sozusagen zum Handgepäck des Limiters. Außerdem wurde der Analyzer SuperVision mit einigen neuen Modulen ausgestattet – darunter ein klassisches VU-Meter und ein durchaus ungewöhnliches Spektrum-Keyboard, das eine Verbindung zwischen Frequenzbereichen und Tonhöhen herstellt.
Cubase und die Harmonielehre
Im Hinblick auf den harmonischen Kontext hat sich Cubase über die letzten Versionen stetig weiterentwickelt. So stellt beispielsweise die Akkordspur eine gewaltige Hilfestellung beim Komponieren dar. Der in Cubase 11 hinzugekommene Skalen-Assistent, der die leitereigenen Töne einer Tonart hervorhebt, wurde mit Cubase 12 nun auch in die Intonationskorrektur VariAudio integriert. Erstellt man Zweitstimmen aus einer Gesangsaufnahme, lässt sich so sicherstellen, dass man sich immer in der richtigen Tonart bewegt. Der Assistent schlägt dabei passende Tonarten für das Material vor und kann auch in Verbindung mit der Akkordspur genutzt werden.
Einen richtigen kleinen Wow-Effekt erzeugt eine neue Funktion, die Akkorde aus Audiomaterial extrahiert. Cubase hört jetzt tatsächlich Songs heraus und legt die Audio-Files via Drag-and-drop auf der Akkordspur ab. Komplexe Strukturen wie z.B. einen Maj7/9/#11 erkennt das System zwar noch nicht, die meisten gängigen Drei- und Vierklänge werden aber überraschend gut interpretiert. Auch wenn das Material in der Regel ein wenig nachbearbeitet und korrigiert werden muss, stellt dieses Feature eine enorme Erleichterung dar – insbesondere für alle, die bisher auf ein ausuferndes Gehörbildungstraining verzichtet haben.
Verbesserter Logical Editor
Der Logical Editor ist ein extrem effektives Werkzeug, das wegen seines etwas nüchtern-abstrakten Konzepts oftmals Berührungsängste auslöst. Wer sich mit dem Tool in all seinen Abwandlungen (Logical Editor für MIDI, projektbezogener Logical Editor, Eingangsumwandler und Transformer-Plugin) ein wenig vertraut macht, wird einen enormen Workflow-Boost erleben und Aufgaben, die gerne einmal zig Mausklicks benötigen (z.B. bei der MIDI-Bearbeitung längerer Parts), im Handumdrehen erledigen können. Das gilt insbesondere für die Überarbeitung, die viele neue Funktionen einschließlich Pre- und Post-Commands und eine Menge neuer Presets bringt.
Die Möglichkeiten sind nahezu endlos: Wer beispielsweise in einem einzelnen Arbeitsschritt jeden zweiten Hi-Hat-Schlag einer MIDI-Spur für Drums auswählen, die Anschlagstärke und die Tonhöhe bearbeiten und gleichzeitig die entsprechenden Events auf eine neue MIDI-Spur übertragen will, der kann das nun tun. Der projektbezogene Logical Editor dagegen verfrachtet nun etwa alle ausgewählten Tracks in einen Ordner und routet gleichzeitig auf einen neu erzeugten Gruppenkanal. In Cubase 12 können solche Scripts nun direkt aus dem Menü heraus aufgerufen werden, ohne den Logical Editors selbst öffnen zu müssen. Nicht nur für Producer-Nerds eine echte Freude!
Workflow, Workflow, Workflow
Neben den Kern-Features kommt Cubase 12 mit einer enormen Anzahl kleinerer und größerer Workflow-Verbesserungen. So bietet der erweiterte Crossfade-Editor umfangreichere Optionen für das Anpassen von Überblendungen zwischen Audio-Events. Bearbeitungen über die ARA-Schnittstelle lassen sich nun auch auf ganze Spuren und nicht nur auf einzelne Events anwenden, was sinnvoll ist, wenn z.B. eine Gesangspur, die aus mehreren Clips besteht, mit Melodyne bearbeitet werden soll. Eine neue Exportfunktion erlaubt zudem das Rendern ausgewählter Events, was z.B. beim Erstellen eigener Sample-Sets ein enormer Zeitsparer ist.
Zu den anderen hilfreichen Klein-Features gehören der Import von Tempo- und Taktartspuren aus anderen Projekten, ein zweiter Video-Track, ein vierter Mixer und eine verbesserte Grid- und Eventdarstellung im Sample-Editor. Der direkte Support von Dolby Atmos wurde für ein baldiges, kostenloses Update angekündigt.
FAZIT
Cubase 12 kommt mit sehr vielen sinnvollen neuen Features, die das Update auf die neue Version für die meisten Anwender hochinteressant machen dürften. Dass der Dongle wegfällt, ist dabei natürlich zentral. Wer Cubase nicht ausschließlich auf einem einzelnen Studiorechner nutzt, kommt nur schwer um das Update herum. Und auch, wer häufig mehrfach mikrofonierte Instrumente aufnimmt oder bearbeitet, wird kaum auf das erweiterte und phasenkohärente Audio-Warp in der Pro- und Artist-Version verzichten wollen. In diesen Punkten schließt Cubase mit vielen Konkurrenten auf und absolviert das Pflichtprogramm mit Bravour.
Aber auch im Kreativteil präsentiert sich Cubase 12 hervorragend. Die MIDI-Remote-Integration und insbesondere die überarbeiteten Quick-Controls zur Plugin-Steuerung heben den Workflow auf ein höheres Level, ohne spezialisierte und teure Hardware vorauszusetzen. Das Filzklavier Verve überzeugt mit hochwertigen Samples und kann durchaus mit kostenpflichtigen Instrumenten von Drittanbietern mithalten, während unter den Effekten vor allem der FX Modulator mit seinen vielfältigen Modulationskurven heraussticht.
Darüber hinaus bietet Cubase 12 eine enorme Fülle praktischer Workflow-Verbesserungen, die hauptsächlich vom erweiterten Logical-Editor, dem Skalen-Assistenten in VariAudio und der Funktion zur Akkord-Extraktion aus Audiomaterial bestimmt werden, dort aber längst nicht enden. Unter dem Strich handelt es sich hier um eines der großen Updates, das es definitiv Wert ist, nicht übersprungen zu werden.
- erweitertes und phasenkohärentes Audio-Warp
- mehrere neue und überarbeitete Plugins (u.a. FX Modulator)
- MIDI-Remote-Integration, überarbeitete Quick-Controls
- Erkennung von Akkorden aus Audiomaterial
- verbesserter Logical Editor, viele weitere Workflow-Verbesserungen
- Verve: hochwertige Library eines Filzklaviers
- kein Contra