Wir alle haben zu wenig Zeit zum Üben! Ich habe noch nie jemanden getroffen, der behauptet hat, er hätte “zu viel Zeit für sein Instrument“. Zudem nagen Familie und der Beruf an den Energiereserven, die man doch im Grunde so gerne für die Musik aufgespart hätte. Und dann ist da noch das Ding mit der Motivation: Es übt sich immer leichter, wenn man ein klares Ziel vor Augen hat. “Das will ich auch spielen können” ist ein Gedanke, der einen antreiben kann – und sollte! Häufig machen einem aber auch Zeit- und Energiemangel einen Strich durch die Rechnung und man spielt lieber Altbekanntes, als dass man Neues übt. Das ist deutlich weniger anstrengend und muss zur Entspannung natürlich auch sein.
Um trotz aller alltäglicher Hindernisse konstant Fortschritte zu machen, sollten idealerweise das Lernziel (z.B. Timing, Spieltechnik, Tonmaterial etc.) und das motivierende Element (Musik, die mir Spaß macht zu spielen) ein- und dasselbe sein. Auf diese Weise schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe, und daher ist es immer gut, nach derartigen Dingen Ausschau zu halten. Ein perfektes Beispiel dafür ist die klassische Musik!
Warum Klassik auf dem E-Bass üben?
Für E-Bass adaptierte klassische Werke haben den großen Vorteil, dass sie schon von sich aus sehr gut klingen. Man muss sich nicht vorstellen, wie die Bassline einmal später im Kontext wirken wird, sondern die Musik steht quasi “für sich” und macht auch als Solo-Bassstück großen Spaß ‑ ideal also für das heimische Üben!
Zudem verfüge ich als Spieler ja bereits über eine relativ genaue Vorstellung vom dem, was ich gerade übe, denn das Stück ist mir ja (in der Regel) bekannt und ich weiß, wie es am Ende klingen soll ‑ genauso wie bei einem Song aus dem Pop-/Rockbereich. Ich kann mein Ziel bereits hören, sowohl tatsächlich als auch vor und während der Entstehung in meinem Kopf. Dies ist ein sehr musikalischer Übungsansatz, denn er beinhaltet auch so wichtige Dinge wie Soundvorstellungen, Phrasierung etc. – Punkte, die bei einer abstrakten Übung eher nicht unbedingt gegeben sind!
Ich habe heute drei kleine klassische Stücke für euch ausgewählt. Jedes davon dient einem bestimmten Lernziel, welches man sich ansonsten wahrscheinlich mit einer deutlich weniger motivierenden Übung angeeignet hätte.
Bach auf dem Bass spielen
Den Anfang macht – wie könnte es anders sein: Johann Sebastian Bach. Eines seiner bekanntesten Stücke ist “Jesu, meine Freude” (“Jesu, Joy Of A Mans Desiring”), das wohl jeder schon mal gehört hat. Das Hauptmotiv basiert auf der Dur-Tonleiter und melodischen Sequenzen daraus – ganz so, wie man es auch in zahlreichen Tonleiterübungen findet. Man kann also wunderbar von dem großen Meister lernen, wie man eine profane Tonleiter musikalisch einsetzt.
Ich habe “Jesu, meine Freude” in G-Dur notiert, man kann es aber natürlich auf jede andere Tonart bzw. Lage übertragen:
Mozart auf dem Bass spielen
Stück Nummer 2 ist ein Ausschnitt aus dem “Türkischen Marsch” (“Rondo a la Turca”) von Wolfgang Amadeus Mozart – ein herrlicher Fingerbrecher für die Greifhand, denn in einer Lage kommen alle vier Finger über alle vier Saiten zum Einsatz und – da das Stück eigentlich für Klavier geschrieben wurde – zudem auch noch in ungewöhnlichen Kombinationen.
Spielt man es außerdem noch mit einem konstantem Wechselschlag, so ergibt es eine hervorragende Koordinationsübung, die man gerne nach und nach auf Tempo bringen darf, wenn man erst einmal den Fingersatz flüssig und fehlerfrei beherrscht.
Königsdisziplin: Bachs Cello-Suiten auf dem E-Bass spielen
Den Abschluss bildet ein Auszug aus Johann Sebastian Bachs Cello-Suiten. Diese sind wohl die beliebtesten Werke für die Adaption klassischer Musik auf dem E-Bass. Ich habe mich für die Gavotte 1 der letzten Suite in D-Dur entschieden, denn sie beinhaltet viele Lagenwechsel und Akkorde.
Gerade das Greifen von Akkorden und das schnelle Wechseln zwischen diesen ist eine der größten technischen Herausforderungen für die Greifhand. Da muss man die Finger schon ganz schön verbiegen – und dann soll das Ganze ja auch noch sauber und ohne Nebengeräusche ablaufen! Das ist ganz schön anstrengend, aber an einem solch wunderschönen Stück übt es sich doch gleich viel motivierter.
Neben den zwangsläufigen spieltechnischen Fortschritten dank dieser klassischen Werke bekommt man gleichzeitig das Geschenk von wunderschöner Musik, die man auch alleine spielen und genießen kann. Und endlich kann man auch die Frage “Kannst du nicht auf unserer Hochzeit in der Kirche etwas Schönes spielen? Du bist doch Musiker!” mit “Klar, wenn die Kohle stimmt!” beantworten.
Viel Spaß mit diesen wunderbaren Werken und bis zum nächsten Mal,
euer Thomas Meinlschmidt