Heutzutage als Musiker noch besonders und damit erfolgreich zu sein ohne die Ellenbogen auszufahren scheint bei der schier nimmer endenden Flut an neuer Musik und guten Bands immer schwieriger zu werden – und nicht wenige von uns sehr zu beschäftigen. Aber warum eigentlich? Eine Annäherung an Profilierungsmechanismen, Zugehörigkeitsgefühl, Szenedogmen und Konkurrenzdruck.
Die Newcomerflut
Ich lege ganz persönlich meine Hand dafür ins Feuer, dass einer der meistverwendeten Sätze in Pressetexten von Newcomerbands folgender ist:
“XYZ lassen sich schwer einem bestimmten Genre zuordnen, sie haben ihren eigenen, ganz individuellen Sound.”
We’ve all been there.
Nicht, dass das was Schlechtes sei, oft stimmt es ja auch. Aber woher rührt eigentlich dieser Drang, sich so weit wie möglich von Allem und Jedem abzusetzen?
Und was hat das mit Konkurrenzdenken zu tun?
Es ist letztendlich ein Symptom dessen, dass es eine unüberschaubare Menge an Mitstreitern gibt, die es mit ihrer Musik sowohl künstlerisch als auch wirtschaftlich zu etwas bringen wollen und sich das entgegen der der altbekannten Auffassung von Musik als “brotlose Kunst” auch trauen.
Man braucht nur einmal seinen Facebook-Feed zu öffnen und merkt ziemlich schnell, dass man mit dem Ziel sich als Act oder mit der Band im Markt zu platzieren alles andere als allein ist: Gesponserte Werbung von neuen Bands aus der Gegend, Musikvideos von den Acts im direkten Umfeld, Sessionvideos, EPK-Videos, Konzert-ankündigungen, Crowdfundings, schicke Live-Fotos, groß aufgetragene Posts über neue Geschäftspartner oder die nächste gebrochene Tausendermarke bei den Likes.
Es wird sich präsentiert und inszeniert was das Zeug hält, denn beim Marketing, egal ob im medialen Raum oder im persönlichen Gespräch, geht es darum, seine Kunst und sich selbst als Interpret in ein gutes Licht zu rücken. Hörer oder “Konsumenten” sollen sich dafür interessieren, das heißt: sich damit identifizieren, den Künstler als neuartig und inspirierend, horizonterweiternd oder einfach ästhetisch ansprechend empfinden – und oft involviert diese Darstellungsweise auch ein bestimmtes Maß an Abgrenzung. Man will ja nicht einfach als eine Version 2 von irgendwem anders wahrgenommen werden, denn dann ist man für viele nur noch halb so interessant. Man versucht sich gegenseitig mit Individualität zu übertrumpfen.
Marketing als Mindset – hilfreich oder gefährlich?
Je größer die “Konkurrenz”, desto wichtiger wird natürlich das Marketing – und auch die Tatsache, dass man zu der Mehrheit unter diesen Künstlern gehört, die sich erstmal relativ lange selbst vermarkten müssen.
Und wo liegt das Problem?
Je bewusster man sich darüber wird, wie wichtig Abgrenzung durch Inszenierung im Musikgeschäft ist, desto schwerer kann es einem mitunter fallen, vorbehaltlos an seine Musik und die Vermarktung heranzugehen. Leider hängt Marketing immer auch damit zusammen, dass man Leute ansprechen und ihnen gefallen will, um ihnen etwas zu verkaufen. Wenn man sein Marketing selbst betreibt, ergibt sich also zwangsläufig in ein kaufmännisches Mindset, dass Erfolg über Like-, Klick-, Share- und Verkaufszahlen definiert.
Schafft man es nicht, das von seiner Persönlichkeit und seinem Schaffen zu trennen, kann das einen ungesunden Einfluss auf die kreative Arbeit und die Selbstwahrnehmung haben, denn man macht seine Zufriedenheit abhängig von der Meinung und dem Geschmack anderer Menschen. Gerade in der Newcomer-Szene, in der sich das geschäftliche Umfeld, das soziale Umfeld und nicht zuletzt auch Publikum miteinander vermischen, ist die Gefahr besonders groß. Das verunsichert, und Unsicherheit gepaart mit dem hohes Maß an Ehrgeiz, dass viele von uns an den Tag legen, ist ein sehr fruchtbarer Nährboden für Konkurrenzdenken.
Genie? Nope! Scenie!
Um es mit den Worten von Brian Eno zu verneinen:
“Ich denke, dass, obwohl großartige neue Ideen in der Regel von Einzelpersonen artikuliert werden, sie fast immer generiert werden von Gemeinschaften. Im Diskurs über Künstler wird viel über Genies geredet, was dem jeweiligen einzelnen Künstler eine sehr große Bedeutung beimisst. Wenn man sich diese Künstler jedoch genauer anschaut, stellt man fest, dass sie sich in einer sehr aktiven kulturellen Szene bewegt haben. All diese sogenannten “Genies” saßen letztendlich inmitten von etwas, was Ich den “Scenie” nenne – die kreative Intelligenz einer Gemeinschaft.”
(entnommen und übersetzt aus: https://www.youtube.com/watch?v=qkD7JBspgas)
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Mehr InformationenWenn man dem guten Mann also glauben kann, ist eine aktive Szene unverzichtbar für die Entwicklung eines Künstlers. Doch sie ist nur dann inspirierend und förderlich, wenn sie deswegen zusammenfindet und -arbeitet, weil sich völlig ungezwungen und von allein eine Schnittmenge in Ästhetik, Sound, Themen und Intentionen teilt. Daraus kann eine Menge Inspiration, Kraft, Rückhalt und logischerweise nützliche Connections entstehen.
Am Anfang steht man oft allein mit der ganzen Arbeit da. Da kann man jede Unterstützung natürlich bestens gebrauchen, um seine künstlerische Karriere so konsequent und ausdauernd zu verfolgen, dass sie auch in einem so vollen und anspruchsvollen Markt wie heute Früchte trägt – und das starke Bild authentisch bleibt, weil man es nicht erzwingen muss, sondern sich in seinem Umfeld wohl und sicher fühlt.
Man braucht das, wovon Brian Eno redet. Eine Szene, die einem zu immer wieder neuen Kräften und Ideen verhilft. Einen Haufen Leute, die gut miteinander zusammenarbeiten, um sich gegenseitig zu helfen die Ziele zu erreichen, die alle miteinander teilen. Eine Ansammlung aus Künstlern, die eine ähnliche Ästhetik verfolgen und eine ähnliche Sicht auf die Dinge haben und sich so gegenseitig inspirieren.
Ja na und? Dann findet man eben eine. Wo liegt das Problem?
Szene – Fluch & Segen
Für uns Künstler ist die Szene unser Lebensraum, und das macht Kameradschaft und Zusammenarbeit – und hin und wieder ein dickes Fell – unabdingbar. Und manchmal verliert man auch selbst vor lauter Ehrgeiz das Gefühl dafür, wo vorne und hinten ist. Denn auch der Gedanke, dass die ganzen Kollegen um einen herum auch nur Konkurrenten sind, liegt nicht fern. Aber Konkurrenzdenken schafft keine gute Stimmung, keine Inspiration, keinen Spaß und Zusammenarbeit erst recht nicht – genauso wenig wie das Dogmen und Lästerei tun.
In so einer Szene kann sich aber sehr schnell ein Grundtonus festsetzen, der sich von gemeinsamer Ästhetik zu einer Art künstlerischem Knigge entwickelt, einer Art kreativer Kleiderordnung – je nachdem, was gerade so angesagt ist.
Künstler, die eher ihren eigenen Vorteil und den eigenen Weg zum Erfolg im Blick haben als die Community, sind gerade diejenigen, die dazu neigen, solch eine Kleiderordnung zu initiieren oder ihr aktiv zu folgen – um immer auf dem neuesten Stand zu sein. Oder anders gesagt: Um immer einen Schritt voraus zu sein.
Da kann es schonmal passieren, dass sich von ein paar wenigen Leuten ausgehend plötzlich bestimmte Linien entwickeln, denen man zu folgen hat, um weiter Teil der Szene zu bleiben und nicht ausgegrenzt zu werden – und man vielleicht sogar das Zugehörigkeitsgefühl zu seinem Umfeld aufs Spiel setzen muss, wenn man sein Ding durchziehen und etwas anderes tun will.
Das kann gefährlich werden – nicht nur für die Kreativität, sondern auch für die Persönlichkeit. Denn dann fängt man an, gezwungenermaßen einem Idealbild hinterherzulaufen oder riskiert, andernfalls große Teile seines sozialen, geschäftlichen und kreativen Umfelds zu verlieren, und das grenzt aus. Ausgrenzung schafft Elite, Elite wiederum schafft Überlegenheitsgefühl – oder eben das Gegenteil, je nachdem ob man dazugehört oder nicht.
Genau deswegen ist die Gefahr so groß, das man hin- und wieder dazu neigt, in kreativer und sozialer Co-Orientierung zu versinken, um im Gespräch zu bleiben und daran teilnehmen zu können. Und genau hier liegt der Knackpunkt bei der Sache.
Wir alle wollen weiterkommen und was erreichen, nur liegt es leider nicht immer ganz in der eigenen Hand. Das Musikgeschäft unterliegt nun mal Trends: auf dem Markt, in den Szenen und den persönlichen Launen und Geschmäcker von Scouts, Bookern, Managern und nicht zuletzt den Hörern – eine ziemlich dicke Wand, um da mit dem Kopf durchzurennen. Da ist es schon hilfreich, freundlich und hilfsbereit zu bleiben, während man sein Bestes gibt, und authentisch zu bleiben – in dem Sinne, dass man sich in seiner Kunst und Inszenierung nicht beirren lässt und auch niemand anderen beirrt. Das macht es für alle Beteiligten angenehmer.
Ehrgeiz und Unsicherheit gehen wie schon gesagt gerne mal Hand in Hand miteinander und stellen einen immer wieder vor die Herausforderung, sich mit anderen vergleichen zu wollen und daraus Neid und Missgunst zu entwickeln. Man muss aber dennoch sein Ding machen und freut sich darüber, wenn einem hin und wieder jemand unter die Arme greift.
Kurz gesagt: Künstler brauchen Szene. Und die braucht Kameradschaft, keine ausgefahrenen Ellenbogen.
Es ist immer wieder die Rede von Dingen wie Biss, Wille oder Entschlossenheit, wenn über erfolgreiche Künstler gesprochen wird. Natürlich muss man eine gehörige Portion Willen aufbringen, um es im Musikgeschäft zu etwas zu bringen.
Ich meine aber, man sollte sich der Missgunst von Ellenbogenspezialisten mit demselben Biss entgegenstellen, mit dem man seine eigenen Ziele verfolgt und sich bewusst dazu entschließen, gegen unkollegiales Verhalten anzuarbeiten.
Also haltet immer schön,
Augen, Ohren, Herz und Niere,
offen auch für neue Sounds,
jedes Plaisierchen findet Tiere.
Peace!
Cami Shini sagt:
#1 - 14.08.2020 um 12:51 Uhr
Toller Beitrag!
Mir gefällt der Gedanke eines kreativen Kollektivs in Form der Szene,
Kreativität sollte sich nie dem Marketing unterordnen das Marketing sollte als Tool verstanden werden.
Catharina.Bonedo sagt:
#1.1 - 19.08.2020 um 14:09 Uhr
Hey Cami,
vielen Dank für das Lob. Ich geb es an Leon weiter. Wir glauben ganz fest an die Kraft der Kollektive, denn die Musik ist immer das Kernstück für alles.
Antwort auf #1 von Cami Shini
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