Die meisten Keyboards folgen einer ganz klaren Linie und Hersteller orientieren sich nicht selten an der Konkurrenz. Bahnbrechende Neuerungen und drastische Sprünge sind hier selten zu finden: In der Keyboardwelt kann man durchaus von einer gewissen “Trägheit“ sprechen. Dabei gibt es hier und da noch Luft nach oben: In puncto Sounds, Bedienung und Features könnte man sich auch mal etwas Neues trauen. Schön ist es gerade dann, wenn neue Hersteller Ideen vorstellen und für frischen Wind in der Branche sorgen. Bei der italienischen Keyboard-Manufaktur Dexibell ist das beispielsweise der Fall. Erst vor Kurzem hatten wir mit dem VIVO SX7 ein kompaktes Piano Soundmodul im Test, welches über besonders gute Piano-Sounds verfügt. Jetzt wird nachgelegt: Hinter dem neuen Dexibell VIVO S9 steckt das Flaggschiff der italienischen Stagepiano-Serie. Das VIVO S9 verfügt nicht nur über besonders hochauflösende Piano- und Vintage-Sounds, sondern auch über jede Menge Controller und Effekte. Neun motorisierte Fader und sieben Drehencoder mit LED-Kranz lassen erahnen, dass Dexibell es wirklich ernst meint.
Es ist sicherlich kein Zufall, dass sich der Name Dexibell von der Maßeinheit Dezibel ableitet. Dennoch sind die italienischen Stagepianos keine bloßen „Pegel-Lieferanten“, sie überzeugen vor allem durch ihre detaillierte, realistische Nachbildung akustischer und elektronischer Tasteninstrumente. VIVO bedeutet schließlich lebendig, und da kommen wir dem Kern der Stagepianos schon näher. Das Geheimnis dieser lebendigen Klangerzeugung nennt sich T2L-Synthese („True To Life“) und meint damit eine Mischung aus Sampling- und Modeling-Technologie. „Best Of Both Worlds“ sozusagen, denn mit einer Sample-Länge von bis zu 15 Sekunden, einem Verzicht auf Audio-Loops sowie einer unübertroffenen Polyfonie von 320 Stimmen gehört das Dexibell VIVO S9 sicherlich zur absoluten Spitzenklasse unter den Stagepianos.
Unser Testkandidat hebt sich aber noch durch weitere Features von den bisherigen Dexibell-Stagepianos ab. Tatsächlich kombiniert das VIVO S9 drei Tonerzeugungen in einem Gerät: Neben den Piano-Sounds des VIVO S7 verfügt das Dexibell VIVO S9 auch über eine eigene Orgel-Sektion, welche aus der Combo J7-Orgel sowie der portablen Kirchenorgel Classico L3 besteht. Insgesamt fünf Orgel-Engines bietet das VIVO S9 und ist mit diversen Fadern und Tastern ausgestattet, die eine Bedienung in Echtzeit ermöglichen. Neben einer üppigen Effektsektion kann das VIVO S9 auch als Masterkeyboard benutzt werden und verfügt über eine tolle Tastatur mit echtem Holzkern. Hier hat sich Dexibell wirklich Mühe gegeben – schauen wir uns das extravagante Stagepiano also näher an!
Details
Gehäuse
Wie alle Dexibell-Pianos, kommt auch das VIVO S9 in einem sehr robusten Gehäuse daher: Viel Metall und wenig Kunststoff wurden hier verbaut. Mir persönlich gefällt das sehr gut, denn obwohl das Piano stolze 20 kg auf die Waage bringt, so vermittelt es doch vor allem ein Gefühl von Hochwertigkeit. Farblich gesehen präsentiert es sich übrigens deutlich moderner als das VIVO S7: Die weiß-blaue Oberfläche mit den blauen Seitenteilen ist sicherlich nicht jedermanns Sache, aber in dem ansonsten eher grauen Stagepiano-Markt kann ein Hauch Farbe sicherlich nicht schaden. Durch die blaue LED-Beleuchtung erhält das VIVO S9 im Betrieb einen recht modernen Touch – es scheint fast etwas mehr Kunstwerk als Piano-Imitation zu sein. Übrigens, die blauen Seitenteile des Vivo S9 sind im Gegensatz zu denen der in VIVO Stage S-3, VIVO Portable P-3 und VIVO Portable P-7 verbauten Pendants nicht aus Kunststoff hergestellt und nicht austauschbar, sondern werden liebevoll per Hand aus Holz gefertigt. Im Lieferumfang des Dexibell VIVO S9 befinden sich übrigens ein Haltepedal mit Half-Damper-Funktion sowie ein externes Netzteil, ein Notenhalter und eine Bedienungsanleitung.
Bedienfeld
Das Bedienfeld des VIVO S9 fällt im Gegensatz zu manch anderen Stagepianos relativ groß aus: Zahlreiche Taster, Fader und Potis lassen erkennen, dass wir es hier mit einem leistungsstarken Piano zu tun haben. Dank der Strukturierung behält man hier einen guten Überblick:Die vier Bedienbereiche wurden jeweils blau hinterlegt. Herzstück des VIVO S9 ist das mittig verbaute OLED-Display, das zusammen mit Pfeiltasten und dem Drehencoder zum Navigieren von Sounds und Menüpunkten dient. Links davon befindet sich die Effektsektion, in der jeweils zwei Effekte für die Parts Main, Coupled sowie Lower/Pedal zur Verfügung stehen. Die Effekte können frei gewählt werden und über die beiden benachbarten Drehencoder sind bereits zwei Parameter dieser Effekte sofort einstellbar.
Weiter geht es direkt daneben: Hier findet die Orgel-Sektion ihren Platz. Neben zwei Tonewheel-Engines gibt es hier auch Nachbildungen von Vox, Farfisa und Pfeifenorgel. Auch Rotary-Effekt, Overdrive sowie Vibrato und Percussion können hier eingestellt werden. Ein echtes Highlight am VIVO S9 sind übrigens die neun motorisierten Fader, die nicht nur zum Bedienen der Zugriegel, sondern auch für das Regeln der Part-Lautstärke oder der Reverb-Anteile zuständig ist. So wird beim Umschalten der Presets immer sofort der aktuelle Fader-Stand angezeigt und man muss nicht raten, welche Einstellungen man wohl beim letzten Zugriff benutzt hat.
Für dich ausgesucht
Nun schauen wir uns den Bereich rechts des Displays genauer an: Hier befindet sich die Sound/Memory-Sektion, die mich ein wenig an Arranger-Keyboards erinnert. Die insgesamt 85 Sounds des VIVO S9 sind hier in acht Kategorien wie z. B. Piano, E-Piano, Strings oder Brass geordnet. Da sich alle Sounds des 1,5 GB großen Speichers austauschen lassen, kann man selber über das Angebot der verschiedenen Kategorien entscheiden: Ähnlich wie z. B. bei Clavia bietet auch Dexibell eine Auswahl an kostenlosen Sounds zum Download an.
In der Sound/Memory-Sektion wird ebenfalls das Speichern der Sounds sowie das Splitten bzw. aktivieren der vier möglichen Parts (Main, Coupled, Lower und Pedal) vorgenommen. Dass das VIVO S9 außerdem über eine Masterkeyboard-Funktion verfügt, das verraten sowohl manche Beschriftungen auf dem Gehäuse sowie die vier Taster zur Aktivierung der Zonen A, B, C und D. Außerhalb der blau markierten Felder findet sich noch ein Tastenfeld für den Audio-Player, die Chord-Freeze-Funktion oder z. B. das Einstellen der Oktavlage. Auch interessant: Die Tastatur des VIVO S9 verfügt über Aftertouch, der hier separat aktiviert werden kann. Abschließend folgen – jeweils ganz außen liegend – die Pitchbend/Mod-Wheel-Kombi sowie Volume-Regler und On/Off-Schalter.