Der Refrain von “Bitter Sweet Symphony” ist ein Allzeit-Klassiker der Musik. Hinter dem Britpop-Hit steckt allerdings eine lange Vorgeschichte, die bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts reicht. Erst nach jahrelangen Streitigkeiten um Songrechte, Geld und Anerkennung kam es zu einer Einigung.

Während sich Oasis und Blur ein packendes Duell im Britpop-Ringkampf lieferten, stahl ihnen The Verve 1997 plötzlich die Show. Obwohl Oasis mit “D’You Know What I Mean?” und Blur mit “Song 2” zwei absolute Hits landeten, konnten sie mit Bitter Sweet Symphony nicht mithalten: Zu einprägsam ist der Streicher-Loop, zu radiotauglich die Hook, zu genial die Message im Song und dem dazugehörigen Musikvideo.
In diesem zieht Ashcroft stoisch durch die Straßen Londons. Er weigert sich von seinem Kurs auszuweichen, selbst wenn es Widerstände und Konsequenzen gibt. Der Song und das Video spielen dabei mit der Idee des repetitiven Lebens, bei dem wir in einem Loop von Zwängen, Erwartungen und Routinen gefangen sind, die bittersüß schmecken. Mal sind sie angenehm, mal verfallen wir den Verführungen und müssen mit einem bitteren Nachgeschmack leben.
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Das Rezept ist aufgegangen und brachte The Verve einen unglaublichen Erfolg ein. Das Ergebnis war allerdings nicht Geld, Ruhm und Macht, sondern ein jahrelanger Streit um Songrechte, Lizenzgebühren und einer angebrachten Würdigung.
Bitter Sweet Symphony hat Ursprung in Predigt
Die Geschichte reicht dabei in verschiedene Teile des 20. Jahrhunderts zurück. Angefangen hat es mit Reverend J.M. Gates, der für seine Predigten und Gospelsongs bekannt war. Er veröffentlichte 1926 den Song “You May Be Alive, You May Be Dead, Christmas Day”. Diese Predigt soll die Basis für den späteren Refrain gelegt haben, den die Staple Singers 1954 in ihrem Song “This May Be the Last Time” aufgenommen hatten. Die Version der Staple Singers basiert außerdem auf einem traditionellen Gospel-Lied und hat kein individuelles Urheberrecht, sondern stammt aus dem gemeinsamen, mündlich überlieferten kirchlichen Repertoire.
Elf Jahre später (1965) veröffentlichten die Rolling Stones mit “The Last Time” einen ihrer ersten größeren Hits. Dabei ist der Refrain praktisch mit “This May Be the Last Time” in Melodie und Text identisch – das wurde von Seiten der Stones auch nie bestritten. Die Stones haben durch eigene Ergänzungen (z. B. Melodie, Arrangement und Gitarrenriff) genug Eigenanteile eingebracht, sodass das Stück weiterhin als Jagger/Richards-Komposition geführt wurde. Richards äußerte sich im 2003 erschienen Buch ‘According to the Rolling Stones’ dazu. Glücklicherweise mussten sich die Stones nicht mit Rechtsfragen herumschlagen.
“Wir haben uns ‘The Last Time’ ausgedacht, was im Grunde eine Neuadaption eines traditionellen Gospelsongs war, der von den Staple Singers gesungen worden war, aber glücklicherweise reicht der Song selbst weit in die Vergangenheit zurück.”
Keith Richards
Legendäre Sample durch Stones-Manager
“The Last Time” von den Stones war ein großer kommerzieller Erfolg – es erreichte Platz 1 der Singlecharts in UK und Deutschland sowie Platz 9 in den USA. An dem Song fand auch ihr damaliger Manager Andrew Oldham gefallen. Dieser hatte mit ‘The Andrew Oldham Orchestra’ ein musikalisches Nebenprojekt, bei dem Ian Stewart, John Paul Jones, Jimmy Page und Stones-Mitglieder für einzelne Aufnahmen ins Studio kamen.
Eine für lange Zeit in Vergessenheit geratene Platte von Andrew Oldham titelte 1965 “The Rolling Stones Songbook”. Auf dieser befindet sich ein Cover von “The Last Time”, das von dem englischen Komponisten David Whitaker neu interpretiert wurde. Ohne Gesang, dafür mit dem gewissen Etwas: Die Mutter der bittersüßes Sinfonie war geboren.
Im Vergleich zur kommerziell erfolgreichen Stones-Version versank das Instrumental-Cover schnell wieder in der Versenkung. Es dauerte 30 Jahre, bis The Verve-Frontman Richard Ashcroft das unbekannte Album aufspürte und um das Sample herum einen komplett neuen Song bastelte. Er fügte mit seiner Band The Verve neue Instrumente und Gesang hinzu, wodurch nicht mehr viel vom Original übrig blieb. Gitarrist Nick McGabe beschrieb es in einem Interview wie folgt:
The sample hardly ft. in it at all. The main string line that everbody seems to think is the sample is Wil Malones score. Hence, the high string line that comes in at the beginning and then the swelling strings have got nothing to do with the Rolling Stones
The Verve gitarrist Nick McGabe
Die Nutzung des Samples wurde dabei nie bestritten und die Band setzte sich mit den Rechteinhabern Decca Records in Verbindung. Man einigte sich auf eine 50:50 Verteilung der zukünftigen Einnahmen durch Lizenzgebühren. Doch plötzlich mischte sich ein anderer Manager der Rolling Stones in die Causa ein: Allen Klein.
Allen Klein nimmt The Verve sämtliche Rechte
Allen Klein, der die Stones von 1965 bis 1970 betreute, besaß die Songwriting Copyright Rechte des Songs. Er war von dem Erfolg fasziniert und witterte eine neue Möglichkeit, Geld zu verdienen. Klein beschuldigte The Verve, mehr vom Sample verwendet zu haben, als ursprünglich ausgemacht war. Demnach behauptete Klein, dass die Vocal-Melodie von dem Stones-Song kopiert und nur das Tempo gedrosselt wurde. Kleins Holdinggesellschaft ABKCO Records reichte in Folge eine Klage wegen Plagiats ein. Es ging also nicht mal mehr um das Sample.
“Uns wurde gesagt, dass es eine 50/50-Aufteilung geben würde”, erinnert sich Bassist Simon Jones. “Als sie dann sahen, wie gut sich die Platte verkaufte, riefen sie an und sagten: ‘Wir wollen 100 Prozent oder wir nehmen sie aus den Läden, ihr habt keine große Wahl.'” Schließlich einigte man sich außergerichtlich und übergab sämtliche Song-Credits an Jagger und Richards.
Richtig absurd wurde es, als der Song für einen Grammy als bester Song nominiert wurde – mit den Namen von Jagger und Richards auf dem Stimmzettel. Richards wurde 1999 dazu gefragt, ob er glaube, dass The Verve fair behandelt wurde. “Ich kann dazu nichts sagen, das ist eine Angelegenheit für Anwälte.” Er fügte jedoch hinzu: “Wenn The Verve einen besseren Song schreiben können, können sie das Geld behalten.”

2019 kommt die Wende
Es schien lange Zeit so, als ob The Verve sich mit der Situation abfinden und einfach die bittere Pille schlucken mussten. Es kam allerdings noch einmal neuer Wind ins Spiel. Der ehemalige Stones-Manager Allen Klein starb 2009 und sein Sohn Jody Klein übernahm sein Verlagshaus. Dieser setzte sich noch einmal mit Mick Jagger und Keith Richards zusammen und einigte sich darauf, die Songrechte an Richard Ashcroft zu übertragen.
2019 war es dann endlich so weit und Ashcroft war nun der rechtmäßige Besitzer von Bitter Sweet Symphony. Er erklärte gegenüber der BBC, dass der Streit nach Verhandlungen mit Kleins Sohn und der neuen Managerin der Rolling Stones, Joyce Smyth, beigelegt worden sei. “Das ist eine fantastische Entwicklung. In gewisser Weise ist es lebensbejahend.” Die Einnahmen von 1997 bis 2019 blieben allerdings bei Jagger, Richards und ABKCO Records. Laut Berichten haben die Stones-Mitglieder über 5 Millionen USD damit verdient.
Für die restliche Band hatte die Einigung allerdings einen bittersüßen Beigeschmack. Da die Songwriting-Einnahmen ausschließlich an Richard Ashcroft übertragen wurden (er war schließlich auch der Songwriter), erhalten die Bandmitglieder keine Einnahmen aus den Publishing-Rechten von Bitter Sweet Symphony. Dafür verdienen sie durch ihre Anteile an Verkaufs- und Performance-Einnahmen des dazugehörigen Albums ‘Urban Hymns’.
Eines ist aber gewiss: Die Geschichte bringt zumindest Ashcroft inneren Frieden, statt Kopfweh und nervige Rechtsfragen. Nun kann der Songwriter wieder mit viel Freude seiner Leidenschaft für Fußball nachgehen. “Sie spielen es [Bitter Sweet Symphony] vor dem Spiel Englands. So kann ich mich zurücklehnen, England zuschauen … und endlich einfach den Moment genießen.”
Der zeitliche Ablauf:
1927 veröffentlicht Reverend J. M. Gates die Predigt “You May Be Alive, You May Be Dead, Christmas Day”.
1954 wird die Predigt von The Staple Singers adaptiert und als “This May Be the Last Time” neu aufgenommen.
1965 veröffentlichen die Rolling Stones den Song “The Last Time”, einen ihrer ersten Hits. Darin ist der Refrain von ‘This May Be the Last Time’ in Melodie und Text identisch.
1965 veröffentlicht Stones-Manager Andrew Oldham mit “the Andrew Oldham Orchestra” eine neue Version von ‘The Last Time’, in dem erstmals das legendäre Sample verwendet wurde. Dieses wurde von Komponist David Whitaker kreiert.
1997 nutzen The Verve das Sample und bauen daraus einen neuen Song. Sie einigen sich mit Jagger und Richards auf 50:50 bei den Lizenzeinnahmen.
1997 möchte plötzlich der alte Stones-Manager Allen Klein sämtliche Einnahmen und droht mit einer Klage. Seine Verlagshaus einigt sich mit The Verve außergerichtlich und bekommt von nun an 100% der Lizenzeinnahmen.
2009 Andy Klein stirbt und sein Publishing Unternehmen wird von seinem Sohn Jody Klein übernommen. Dieser spricht mit Mick Jagger und Keith Richards und einigt sich darauf, dass Richard Ashcroft zukünftig die vollständigen Credits erhält.
2019 22 Jahre lang bekamen die Stones sämtliche Lizenzeinnahmen. Nun wurde der Streit beigelegt und sie übertragen Richard Ashcroft die Songrechte. Die bisherigen Einnahmen behalten sie aber.

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