Mit Anyma Phi bietet der französische Hersteller Aodyo einen kleinen monophonen Synthesizer, der mit Physical Modeling Fähigkeiten glänzt. Das Desktopgerät ist so kompakt, dass es nicht nur auf jeden Tisch, sondern selbst auf (fast) jedem Keyboard Platz findet. So kann es als willkommene klangliche Erweiterung für jedes Setup dienen.
Aodyo Anyma Phi Physical Modeling Synthesizer
Physical Modeling Synthesizer in Hardware sind ausgesprochen rar. Nach dem großen Erfolg der Physical Modeling Oszillatoren von Mutable Instruments im Eurorack-Sektor hat Aodyo den Code portiert. Dieser ist jetzt im Anyma Phi zu Hardware geworden. Wir haben dem kleinen Synthesizer auf den Zahn gefühlt und berichten über seine Stärken und Schwächen.
Details
Erster Eindruck
Aodyo ist im Marktgeschehen noch nicht sehr bekannt. Der Hersteller hat jedoch vor einigen Jahren mit dem sehr expressiv spielbaren Blaswandler ‚Sylphyo‘ einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Auch im Sylphyo ist eine Physical Modeling Engine verbaut, die Leute kennen sich also mit Soft- und Hardware aus. Anyma Phi ist ein Desktop-Synthesizer im stabilen Metallgehäuse mit dezent grau/schwarz/blau Design und vier Gummifüßchen. Die verbauten Drehregler und Anschlüsse machen einen sehr soliden Eindruck; die Drucktaster dagegen sind ein bisschen wackeliger. Die integrierten LEDs sind hell, das LC-Display eher klein, dafür aber sehr informativ. Schön ist, es lässt sich aus jedem Blickwinkel gut ablesen. Alles in allem ist das Kästchen gerade mal so groß wie eine DIN-A5 Seite und so hoch wie eine Streichholzschachtel.
Auf der linken Seite des Aoydo Anyma PHi Synths befinden sich ein Volumenregler, ein kleines Display und eine Bediengruppe bestehend aus Druckdrehregler und zwei Tastern. Die Bedienoberfläche zeigt eine 5 x 4 Matrix, die dem Waldorf Blofeld nicht unähnlich ist. Mit fünf Druckknöpfen werden die Reihen ausgewählt, und mit den unten liegenden vier druckempfindlichen Drehreglern verändert man Werte. Der sechste Druckknopf dient als Shift-Funktion. Die auf der Matrix aufgedruckten Bezeichnungen wie Timbre, Color, Chaos und Position suggerieren dabei, dass man damit auch diese Parameter verstellt. Es sind jedoch nur Suggestionen. Welcher Parameter sich an welcher Stelle verändert, kann und muss für jeden Patch händisch programmiert werden. Das Gleiche gilt übrigens für die nur von der Seite lesbare weitere Textschicht mit den Wörtern Excite, Vibrate, Diffuse, Global und Animate. Das ist alles Design, hat mit den Funktionen der Regler jedoch überhaupt nichts zu tun.
1/2 Das Bedienfeld des Aodyo Anyma Phi Synthesizers.
2/2 Das LC-Display bietet viele Informationen.
Mehr als ein Physical Modeling Synthesizer
Es gibt aber noch etwas, und das versteckt sich unter dem Logo links unten. Ein Piezo-Mikrofon. Dieses Mikro bietet dem Synthesizer eine weitere interessante Funktion. Man kann auf dem Gehäuse des Ayodo Anyma Phi wie auf einer Trommel spielen. Das funktioniert auch sehr gut. Dreht man allerdings an einem Regler, übertragen sich auch diese Geräusche. Alles in allem ist diese Funktionalität prima umgesetzt und trägt sehr zum Haben-Wollen-Effekt bei. Der Anyma Phi wird als Physical Modeling Synthesizer beworben. Er kann aber viel mehr als nur Physical Modeling. Davon zeugen die vielen internen Module , die ähnlich wie bei Native Instruments Reaktor oder VCV Rack virtuell verbunden werden müssen. Sonst kommt kein Klang heraus.
Software-Editor
Der kleine Anyma Phi ist recht komplex. Schon deswegen gibt es dafür einen Software-Editor, der auf Mac-, Windows- und Linux-Plattformen läuft. Der Editor ist sehr schlicht gehalten, erleichtert die Programmierung aber ungemein. Ich möchte sogar behaupten, dass der Editor zur Programmierung unverzichtbar ist. Sobald die damit erstellten Sounds dann auf dem Anyma Phi-Synthesizer sind, kann alles abgestöpselt und ohne Computer gespielt werden.
Der Software-Editor ist die erste Wahl beim Programmieren des Synthesizers. (Screenshot: Sebastian Berweck)
Anschlüsse
Alle Anschlüsse des Synthesizers befinden sich auf dessen Rückseite. Neben dem Ein-/Ausschalter und dem Netzteilanschluss befinden sich ein MIDI In/Out-Pärchen sowie Anschlüsse für Line In, Kopfhörer und zweimal Line Out (links/rechts). Zusätzlich gibt es einen USB-Anschluss zum Anschließen an den Computer. Ein weiterer USB-Host-Anschluss ermöglicht den Anschluss eines MIDI-Controllers an den Anyma Phi. Das ist lobenswert und verdient auf jeden Fall einen Pluspunkt!
Die Rückseite des Aodyo Anyma Phi zeigt alle Anschlüsse.
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Praxis
Grundlegendes
Den Anyma Phi als Physical Modeling Synthesizer zu bezeichnen, greift viel zu kurz. Wir haben es hier mit einem semi-modularen Synthesizer zu tun, den man am besten über die Editor-Software begreift.
Arbeiten mit dem Software-Editor
Die Software selbst besteht aus dem Patch Management ganz links und der Programmierebene. Diese ist eingeteilt in die vier Spalten General, Oscillators, Effects und Modulators. Darüber kann man das Schaubild des Signalflusses betrachten. Darunter befinden sich alle Modulationsslots.
Die Arbeit mit dem Software-Editor ist eigentlich ganz einfach und vollzieht sich in zwei Schritten. In der Oscillators-Spalte wählt man einen oder mehrere Oszillatoren. Danach schickt man das Signal dann durch bis zu fünf Effekte, die in der Effects-Spalte ausgewählt werden. Hier stehen zwei Audiowege zur Verfügung: Main und Aux.
In der Modulators-Spalte finden sich ungemein viele Modulatoren, von einfachen LFOs bis hin zu zellulären Automaten. Diese werden dann in der unteren Reihe mithilfe von Mapping den Zielen zugeordnet.
Und weil man das erst einmal verstehen muss, wiederhole ich das noch einmal. Die Vorgehensweise besteht aus den zwei Schritten:
Oszillatoren und Effekte auswählen und auf Main oder Aux Signalweg platzieren
Modulatoren auswählen und über die Mappings deren Ziele auswählen
Drei Oszillatoren, fünf Effekte und bis zu 16 Modulatoren kann man dabei gleichzeitig auswählen. Das geht aber ganz schön an die Rechenleistung. Deshalb kann man bei einigen Oszillatoren aus unterschiedlichen Gütegraden wählen, die dann sparsamer mit den Ressourcen umgehen. Das Routing auf Main und Aux wird sehr schön über den Signalweg dargestellt, der ganz links die drei Oszillatoren anzeigt, dann die beiden Signalwege und ihre Effekte auflistet und schließlich in Pan, Reverb und Out mündet. Im Bereich der Modulatoren und den 32 Slots ist das leider weniger schön gelöst. Hier man muss ziemlich viel nach links und rechts scrollen.
Der Software-Editor des Ayodo Anyma Phi zeigt sich für unterschiedliche Funktionalitäten in zwei Farben: Hier die rote Ansicht. (Screenshot: Sebastian Berweck)
Unterschiedliche Module
Der eigentliche Knüller des Synthesizers liegt in den Modulen. Ayodo Anyma Phi bietet 34 Oszillatoren, 33 Effekte und 45 Modulatoren, wenn ich richtig gezählt habe (Stand: Version 1.0). Die Oszillatoren bieten zum größten Teil nicht nur einfache analoge Wellenformen mit einem Grob- und einem Feinregler für die Tonhöhe. Auch die gezupften und gestrichenen Saiten und die Windsäulen der Physical Modeling Oszillatoren zeigen sich als Spielwiese unterschiedlichster Geräte. Das Ganze reicht bis hin zu einem Partikelsystemgenerator, einem Telekommunikationsdatengenerator, drei Sprachgeneratoren, einem additiven Synthesizer, diversen 808 Drums, einer E-Orgel und vieler Arten von Noise. Das alles sind keine einfach gestrickten Oszillatoren, jeder kommt mit seinem eigenen Set an Parametern.
Einer der Parameter heißt beim Telekommunikationsdatengenerator logischerweise BAUD. Jetzt wissen wahrscheinlich die wenigsten, was passiert, wenn man am BAUD Knopf dreht. Das ist eben eine der spannenden Dinge beim Anyma Phi. Es lässt sich viel entdecken und wenn etwas nicht gefällt, ist es ganz leicht, ein Modul gegen ein anderes einzutauschen. Anders als bei einem modularen Synthesizer, egal ob real oder virtuell, müssen dazu keine Strippen gezogen werden. Beim Anyma Phi wählt man aus einem Menü einfach ein anderes Modul.
Der Software-Editor des Ayodo Anyma Phi in seiner grünen Ansicht (Screenshot: Sebastian Berweck)
Effekte
Bei den Effekten geht es ein wenig ruhiger zu. Hier finden sich diverse Resonatoren für das Physical Modeling, Filter und EQs, Overdrive und Bitcrusher. Weiter geht es mit Ringmodulatoren, Chorus, Phaser und Pitchshifter. Obendrein gibt es einen Leslie-Effekt, FM Operatoren, diverse Delays und ein Modul für die Granularsynthese. Also eher bereits bekanntes Gelände mit einer sehr großen Auswahl. Und selbst hier bringt jedes Modul sein eigenes Parameterset mit. Die Granularsynthese basiert technisch auf der des “Grains” Eurorackmoduls von Mutable Instruments. Diese bietet elf Parameter, die man erst mal alle verstehen möchte. Man kann auch einfach an den unterschiedlichsten Knöpfen drehen und schauen was passiert. Und oft passieren schöne und interessante Sachen.
Dabei muss man sich allerdings bewusst sein, dass Module wie die E-Orgel keine aufwendigen E-Orgel Simulationen ersetzen können oder wie eine Hammond B3 mit Leslie klingen. Stattdessen erhält man eine Orgel mit eingebautem Telekommunikationsdatengenerator. Oder eine Geige mit Leslie, eine Steeldrum mit Bitcrusher, eine 808 mit Pitchshifter, etc. Es gibt wirklich viele Möglichkeiten zu entdecken. Allerdings: Alles gleichzeitig geht dann auch nicht, weil das ja alles berechnet werden will. Und so findet sich links unten im Editor auch die Anzeige, zu wie viel Prozent der Prozessor ausgelastet ist. Es ist durchaus möglich, mit drei Oszillatoren, fünf Effekten und zwei Modulatoren den Prozessor schon an seine Grenzen zu bringen.
Modulationsmöglichkeiten
Im Bereich der Modulatoren finden wir zunächst die üblichen Verdächtigen, z. B. LFOs und Envelopes, die jedoch schon alle viel variabler sind als man es normalerweise kennt. Weitere Modulatoren zeigen sich wie mathematische Module, die durchaus recht komplex sind. Sequenzer, Logikmodule, diverse kinetische Objekte wie Spiralen oder hüpfende Bälle und heuristische Module. Auch gibt es solche, die meinen Horizont überschreiten. Darunter die “Tent Map”, die beschrieben wird mit „Unfold the tent map sequence on each trigger“, wobei die Sequenz der Tent Map wie folgt definiert ist: 𝑥𝑛+1 = 𝜇𝑥𝑛(1 − 𝑥𝑛 ). Hut ab, wer das versteht, aber da ich bin draußen. Und Respekt vor demjenigen, der damit auch musikalisch sinnvolles kreiert.
Wenige Presets
Wer kreativ gestaltetes Klangmaterial als Ausgangsbasis für eigene Sounds sucht, der wird mit einem großen Manko des Aodyo Anyma Phi konfrontiert. Den Presets. Von denen gibt es nur spärliche 20 und sie zeigen die Möglichkeiten des Gerätes nur ansatzweise. Faszinierend sind sie dennoch, weil sie in jeder Oktave ganz anders klingen. Aus einer gespannten Saite in Mittellage wird in der Tiefe ein undefinierbares etwas und in der obersten Oktave kommt noch etwas ganz anderes heraus. Das ist die ganz große Stärke des Physical Modeling. Leider können kleine Parametersprünge fiese Lautstärkeänderungen nach sich ziehen, was auf die Ohren geht. Vielleicht ist der Anyma Phi auch aus diesem Grund in seiner Lautstärke recht schwachbrüstig; das Signal musste nach der Aufnahme doch immer noch kräftig angehoben werden.
Erwähnenswertes
Nennen muss man hier den Arpeggiator, der Tonabfolgen spielen kann, wie man sie sonst kaum in einem Hardwaregerät findet. Dann noch die Glide Funktion, einen Envelope Follower für das Piezo-Mikrofon im Gehäuse, eine umfassende Mikrotuning Funktion, modular einsetzbare Envelopes und einen Audio-In für extern eingespeiste Signale. Beim Ayodo Anyma Phi gibt es definitiv viel auszuprobieren. Jedoch weniger am Gerät selbst, als über den Software-Editor. An dieser Stelle ist es dann unverständlich, wieso es keine Audio-Übertragung über die USB-Verbindung gibt.
Klang
Klanglich liegen die Stärken des Anyma Phi ganz klar auf der Seite des Physical Modelings, trotz vieler Noise- Quellen und der analogen Wellenformen. Diese eignen sich z. B. dazu, um Sounds mit mehr Bass anzureichern. Wie die Beispiele zur Frequenzmodulation, einmal des Oszillators und des Filters zeigen, ist Analog Modeling nicht die Stärke des Anyma Phi. Um einen einfachen analogen und subtraktiven Synthesizer zu bauen, ist der Anyma Phi nicht gedacht. Er ist kein Minimoog-Killer, sondern eine klangliche Spielwiese in Bereichen, in die der Minimoog noch nicht einmal ansatzweise hinkommt.
Wenn man weiß, dass der Anyma Phi von einem Hersteller entwickelt wurde, der auch Blaswandler produziert, kann man sich die Klanglichkeit ganz gut ausmalen. Die Saxofon- und Bläsersounds aus dieser Ecke zeigen sich immer recht brillant und dadurch auch irgendwie faszinierend. Sehr ausdrucksstark spielbar verleugnen sie jedoch nie ihre digitale Herkunft. Der Sound des Anyma Phi tendiert eher zum brillanten als zum warmen Sound. Dabei darf man brillant nicht mit kühl verwechseln, dazu ist der Aodyo Phi viel zu ausdrucksstark.
Audio
Samples
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Anyma Phi : Atmosphärischer SoundAnyma Phi: Physical Modeling QuerflöteAnyma Phi: Drums mit einem Preset (Bassdrum, Snare, Rototoms, Claves)Anyma Phi: Drone-SoundAnyma Phi: Noisequellen abseits von Weiß und RosaAnyma Phi: Polyrhythmische PercussionsklängeAnyma Phi: Piezo-Mikro erlaubt Trommeln auf dem GehäuseAnyma Phi: Positionierung von Klängen im RaumAnyma Phi: Digitaler VerzerrerAnyma Phi: Klangliche Veränderung in unterschiedlichen OktavlagenAnyma Phi: 3-oktavige Stimme zeigt Grenzbereiche von Physical ModelingAnyma Phi: Oszillator- und Filter-FMAnyma Phi: Vielseitiger ArpeggiatorAnyma Phi: Preset-Beispiele
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Fazit
Der Anyma Phi von Aodyo ist ein ganz erstaunlicher kleiner Synthesizer, der einem das Ausprobieren vieler Syntheseformen leicht macht. Neue Synthesearten und Modulationen gibt es dort reichlich. Ein echtes Standalone-Gerät ist der anyma Phi eigentlich nicht. Bei so vielen Möglichkeiten erarbeitet man sich die Presets zunächst am Rechner und schickt sie später in das Instrument zurück. Sind die Sounds im Synthesizer, greift man auf Klänge zurück, die man mit einem analogen Synth schlichtweg nicht erhält. Mittels MPE-fähigem Steuergerät oder einem Blaswandler lassen sich die Sounds sicherlich so ausdrucksstark spielen, wie sie angelegt sind. Viel interessanter ist es jedoch, den Aodyo Phi als Spielwiese unterschiedlichster Syntheseansätze zu begreifen. Dann geht auch der Preis für das wertige Instrument und das engagierte Entwicklerteam in Ordnung. Für Preset-Jäger eher weniger geeignet, zeigt sich der Ayodo Anyma Phi für diejenigen besonders reizvoll, die auf Entdeckungstour gehen wollen.
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